Am Erlanger Poetenfest wird es richtig politisch

21.8.2015, 18:00 Uhr
Am Erlanger Poetenfest wird es richtig politisch

© Harald Sippel

„Toleranz meint die Duldung dessen, was man ablehnt. Sie verlangt zwingend eine eigene Haltung, einen eigenen Standpunkt“, schreibt der Publizist Alexander Kissler in einer Streitschrift über die Folgen des Charlie-Hebdo-Massakers. Tenor: Wir befinden uns auf dem gefährlichen Weg der Selbstaufgabe. Doch was sind eigentlich die Standpunkte des Westens, auf die man sich zurückzuziehen vermag? Meinungsfreiheit natürlich, aber auch Religionsfreiheit – wie löst man Konflikte zwischen beiden auf, wenn nicht durch Rechtsstaatlichkeit als formales Prinzip? Unter dem Titel „Das aktuelle Podium: Toleranz ist mehr als Duldung“ diskutieren in der Moderation von Florian Felix Weyh die Leiterin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung, Ulrike Ackermann, der Publizist Alexander Kissler und der Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen (29. 8., 12 Uhr, Markgrafentheater).

Vor dem Hintergrund islamistischen Terrors wird in der Öffentlichkeit häufig zwischen dem „guten“ Islam und dem „bösen“ Islamismus unterschieden. „Den Koran lesen. Über Gewalt und Islam“ ist der Titel einer Gesprächsrunde, die von Wilfried F. Schoeller moderiert wird und an der der Erlanger Koran-Übersetzer Hartmut Bobzin, der Bamberger Islamwissenschaftler Patrick Franke und der ehemalige ARD-Korrespondent Samuel Schirmbeck teilnehmen. Auf welche religiösen Texte können sich die Dschihadisten berufen, wenn sie zum „Heiligen Krieg“ aufrufen? Welche Schriftform hat der Terror im Namen des Propheten? Ist alles nur eine Frage der Auslegung? (29. 8., 16 Uhr, Orangerie).

Tiefgreifende kulturelle Differenzen?

„Die große Geldkrise“ ist der Titel einer Runde mit dem Kulturtheoretiker Martin Burckhardt und dem Dramatiker Ulf Schmidt (Institut für Digitalökonomie und posttheatrale Dramatik), moderiert von Florian Felix Weyh. Was ist Geld heute überhaupt noch? Ein Luftschloss, das entweder durch Inflation explodieren oder durch Deflation in sich zusammensacken wird? Ein digitaler Datensatz, der in ein paar Jahren nur noch als Bitcoin von Smartphone zu Smartphone verbucht wird? Geldscheine haben keinen echten Wert – sie funktionieren dennoch . Fragt sich: Wie lange noch? (29. 8., 17.30 Uhr, Orangerie). Die Königsdisziplin der politischen Gespräche des Erlanger Poetenfests ist die traditionelle Sonntagsmatinee. In diesem Jahr trägt sie den Titel „Was hält Europa noch zusammen?“ und wird erstmals von Christoph Schwennicke, Chefredakteur des Magazins Cicero und regelmäßiger Gast im ARD-Presseclub moderiert.

Monatelang drehte sich in Europa alles um Milliardenkredite, Liquiditätsprobleme und den Grexit. Die armen und die reichen Länder Europas driften auseinander und Großbritannien denkt laut über einen EU-Austritt nach. Was aber bleibt an Gemeinsamkeit? Sind die kulturellen Differenzen doch tiefgreifender, als wir es wahrhaben wollen? Dabei wäre Zusammenhalt wichtiger denn je, denn Europa steht vor riesigen Herausforderungen: Flüchtlingsströme, Ukraine-Konflikt, das Verhältnis zu Moskau. Diskussionsteilnehmer sind die Vorsitzende der Fraktion die Grünen im Europäischen Parlament Rebecca Harms, der Leiter des ARD-Hörfunkstudios in Warschau Henryk Jarczyk, der Wirtschaftswissenschaftler Alexander S. Kritikos und der Schriftsteller Robert Menasse (30. 8., 11 Uhr, Redoutensaal).

Theweleit als politischer Stargast

Mit einem kulturpolitischen Thema befasst sich die Diskussionsrunde „‚Elendes Kumpelsystem‘ – Kritik der Kritik“, an der – moderiert von Florian Felix Weyh – René Aguigah, Leiter der Abteilung Kultur und Gesellschaft beim Deutschlandradio, Ursula März, Literaturkritikerin und Autorin, der Blogger Lothar Struck und der Verleger Jörg Sundermeier teilnehmen. Das Feuilleton sei ein „elendes Kumpelsystem“ mit gegenseitigen Abhängigkeiten, sagte Jörg Sundermeier im Frühjahr dieses Jahres und erregte damit großes Aufsehen: „Es geht um Macht und Angst.“ Oder ist die Literaturkritik immer schon ein „Old Boys Network“ gewesen, in dem nur derjenige Lob und Preis erhält, der sich mit den „Old Boys“ gemein macht? (30. 8., 14 Uhr, Orangerie)

Von „politischen Zeiten“ hat Claus Leggewie zu berichten, der als „Rockstar des politischen Denkens“ bezeichnet wird. In seiner Biografie spiegelt sich der Lebenslauf einer ganzen Generation: kosmopolitisch, ökologisch engagiert und querdenkend hat sie Deutschland entscheidend geprägt (30. 8., 17 Uhr, Orangerie).

Auch Klaus Theweleit ist ein politischer Stargast des diesjährigen Poetenfests. Männerfantasien, die in Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung umschlagen, waren stets Thema des Kulturwissenschaftlers. In seiner jüngsten Publikation beschäftigt er sich mit Killern wie Breivik oder den Kinder-Mördern von Peschawar (30. 8., 18.30 Uhr, Orangerie).

Alfred Döblin hat es schon nach dem Ersten Weltkrieg einer Romanfigur in den Mund gelegt: „Der Krieg ist zuende. Dass der Krieg gewesen ist, ist nicht zuende.“ Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes sind dieses Jahr viele Bücher erschienen, die sich mit den versteckten und verschleppten Spätfolgen des Krieges auseinandersetzen. So spürt der schwedische Autor Jens Orback, Generalsekretär der Olof-Palme-Stiftung, der Vergewaltigungsgeschichte seiner deutschen Mutter nach, Ute Baur-Timmerbrink beschäftigt sich mit Besatzerkindern und Joachim Süss befragt die Enkel der Kriegsgeneration – die „Nebelkinder“, wie er sie nennt – nach ihren Erfahrungen mit den Traumata der Eltern.

Ist es für unsere Identität immer noch von solcher Bedeutung, dass fast jeder familiäre Belastungen mit sich herumträgt? „70 Jahre Kriegsende – Schatten auf der Seele“ ist der Titel der Veranstaltung, die von Florian Felix Weyh moderiert wird (30. 8., 18 Uhr, Markgrafentheater).

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