Am Rand der Unhörbarkeit

31.3.2017, 19:38 Uhr

Live selten zu hörende Musik: Den Veranstaltern der Reihe "unerHÖRT!", also dem GVE und dem Bayerischen Rundfunk – Studio Franken, ist es besonders zu danken, dass sie zum letzten "unerHÖRT!"-Konzert dieser Saison mit Gerald Eckert und seinem "Ensemble Reflexion K" ausgewiesene Experten auf dem Gebiet des Musizierens mit elektronischer Musik in den gut gefüllten Innenhof des Bürgerpalais’ Stutterheim gebeten haben.

Das Konzert sollte aber erst noch "klassisch" mit dem "Ko Lho" für Flöte (Beatrix Wagner) und Klarinette (Joachim Striepens) des Italieners Giacinto Scelsi beginnen. In feinem Wohlklang umschlingen sich hier die Motive, durchaus gewürzt durch Überblasen, Flatterzunge und Mitsummen. Richtig zur Sache ging es bei der Uraufführung des Auftragswerks des BR an den Kompositionsprofessor an der Nürnberger Musikhochschule Peter Gahn, der für sein Werk erst mal Geräusche in der Erlanger Stadtbib-liothek aufnahm, um dann Teile davon zu verfremden. Spezielle Computerprogramme ermöglichen Halleffekte, Fade-In und Fade-Out, Komprimierungen und Überlagerungen. Schnell wird bei "standing in front of the fiction shelves" für Flöte, Klarinette, Violoncello (Gerald Eckert) und Elektronik (Andre Bartetzki) aus dem Hören ein Lauschen. So erlebt man flötenartige Klänge von allen Instrumenten, tonloses Blasen und Schleifgeräusche schwellen aus dem Nichts zu großem Rauschen aus dem Lautsprecher, der sich zum Mitspieler wandelt.

Partner des Cellos

"Petals", Blütenblätter, nannte die finnische Komponistin Kaija Saariaho ihr Stück für Violoncello und Live-Elektronik. Hier wird das Cello während des Spiels aufgenommen und diese Aufnahme, elektronisch bearbeitet, sofort wieder als Partner des Cellos abgespielt. Eckert schleicht sich mit einem endlosen Triller ins Bewusstsein, überdrückt den Bogen zu Kratzgeräuschen und landet in einem rasenden Tremolo-Lauf. Ein extrem virtuoses Stück, das der linken Hand gitarrenähnliche Verrenkungen abverlangt. Aufnahmen und Cello akkumulieren sich zu einer vielschichtigen Klangwolke – generiert nur von einem "bisschen Technik".

Gestapelte Klangebenen

Ähnlich verfährt der Komponist Gerald Eckert bei seinem Werk "den angestoßenen Augen der Steine" für Kontrabassklarinette, Violine (Lenka Zupkova), Live-Elektronik und Tonband. Er stapelt aber nicht nur Klang-ebenen, sondern durch die früher entstandene Tonbandaufnahme auch Zeitschichten übereinander und erzeugt so intensive Klangatmosphären. Immer am Rand der Unhörbarkeit bewegt sich sein "außen, von tief innen", bei dem sich ein Kreis schließt, wenn die klassischen Instrumente Töne erzeugen, die ehemals aus dem Synthesizer kamen.

Etwas früher, 1957/58, forderte Bruno Maderna mit seiner "Musica su due Dimensioni" Flötisten und Tonbandspieler aufs Äußerste heraus. Die Musik "aus der Konserve" – die Aufnahme ist historisch – ist überraschend angenehm und zusammen mit der souveränen Beatrix Wagner lässt Andre Bartetzki eine schillernde Klangwelt entstehen.

Luigi Nono, der große Italiener der Neuen Musik, entwickelt bei " A Pierre. Dell’ azzuro silenzio, inquietum" für Kontrabassflöte, Kontrabassklarinette und Live-Elektronik aus der Lautlosigkeit ein an Dschungelgeräusche erinnerndes, aktives Klanggeschehen. Kurze akustische Sequenzen werden von der Elektronik verfremdet, aufgeblasen, übereinander getürmt und wieder abgetragen. Bei angemessener Versenkung kann der Hörer Vorgehensweisen nachvollziehen, muss aber für den Erkenntnisgewinn durchaus mitarbeiten.

Das Publikum dankte den Musikern des "Ensemble Reflexion K" mit starkem, langanhaltenden Applaus.

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