Angst vor Ghettoisierung am Erlanger Anger

24.4.2017, 06:00 Uhr
Angst vor Ghettoisierung am Erlanger Anger

© Anestis Aslanidis

Viele reden (zu Recht) über die geplante Nachverdichtung rund um die Johann-Jürgen-Straße im Angergebiet. Am 7. Mai stimmen die Erlanger in einem Bürgerentscheid über die Zukunft einiger Erba-Häuser in dem Areal ab. Von einem anderen Bauvorhaben aber, das nicht weit davon entfernt in der Isarstraße ansteht, spricht indes fast keiner. Und das, obwohl die Baupläne viel gravierendere soziale und ökologische Veränderungen mit sich bringen dürften als die Umstrukturierung südlich der Erba-Siedlung.

Deshalb hat sich der Kirchenvorstand der evangelischen Erlöserkirche, die sich in dem Gebiet befindet, mit einem Brief an Oberbürgermeister Florian Janik und die Stadtratsfraktionen gewandt. In dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, erläutert der Unterzeichner, Pfarrer Karl F. Grimmer, die Bedenken der Gemeinde gegen die Bebauungspläne.

Soziale Infrastruktur überfordert

Der Stadtrat hatte im Dezember 2016 zugestimmt, für das Gebiet zwischen Neckarstraße, Isarstraße und Bundesautobahn A73 einen Bebauungsplan aufzustellen - und zwar, wie es im Beschluss heißt, "im beschleunigten Verfahren (...) ohne Umweltprüfung".

Das Wohnungsunternehmen GBW, das die Hochhäuser erstanden hat, möchte jetzt in deren unmittelbarer Nähe nach bisherigem Stand fünf so genannte Punkthäuser bauen, von denen eines mit 17 Stockwerken die bestehenden Hochhäuser sogar überragt. Die bisherigen Nachverdichtungspläne von etwa 70 Wohneinheiten seien im aktuellen Baugebiet Nr. 135 auf rund 250 gestiegen, schreibt Pfarrer Grimmer im Namen des Kirchenvorstands. Die soziale Infrastruktur, so heißt es in dem Papier, werde durch den Umfang der geplanten Nachverdichtung überfordert. "Wir befürchten auch durch die Erhöhung der (ohnehin bereits hohen) Bevölkerungsdichte am Anger mögliche Probleme im Zusammenleben der Menschen (...)", formulieren die Protestanten ihre Bedenken.

"Denen eine Stimme geben, die keine haben"

Pfarrer Grimmer lehnt eine Verdichtung nicht generell ab: Die Schaffung insbesondere sozialen Wohnraums sei wichtig, doch müsse man sich hier fragen, "was man wirklich machen will und kann", sagt er auf Nachfrage.

Schon jetzt lebten in dem Gebiet viele Empfänger von Arbeitslosengeld (Alg) II (gemeinhin als Hartz-IV bekannt) sowie Menschen mit Migrationshintergrund, berichtet er.

Bei mehr als 50 Prozent der Kindergartenkinder übernehme die Stadt die Kosten, berichtet der Theologe. Hort- und Spielplätze reichten schon jetzt nicht aus. Mehr Sozialarbeit spiele bei den Plänen aber bisher keine Rolle.

"Die GBW-Pläne haben eine Ghettoisierung zur Folge", sagt der Pfarrer. Er und der Kirchenvorstand befürchteten, dass der Anger zum "Hartz-IV-Viertel" werde und aussehen werde wie die Gerhart-Hauptmann-Straße.

Da sich manche Betroffene eben nicht so artikulieren könnten wie Bewohner anderer Nachverdichtungsgebiete, schalte sich die Kirche ein: "Wir möchten jenen eine Stimme geben, die keine haben und deshalb in den weiteren Gesprächen gerne als Moderatoren dienen", sagt Grimmer.

Stadt wartet selbst auf Bauanträge

Das ist aber laut Matthias Hartung, Projektleiter der GBW, nicht nötig. Die Pläne seien bereits den Bewohnern präsentiert worden, betont er auf Anfrage. Im Sommer sei ein Workshop geplant, und dann sollen die ersten "Voruntersuchungen" gemacht werden. "Da lasse ich mir nichts vorwerfen, wir haben wie bei anderen Bauvorhaben Gespräche geführt, unter anderem mit der Stadt."

Das ist sicher nicht falsch. Schließlich hatte der Stadtrat im vergangenen Dezember beschlossen, für das Areal einen Bebauungsplan aufzustellen. Bisher nämlich gibt es keinen. Das ist mit ein Grund, weshalb sich die evangelische Erlöserkirche nun zu Wort meldet. "Wir wollen eingreifen, solange noch keine Fakten geschaffen sind, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen", erläutert Grimmer.

Die Stadt selbst wartet auf die Bauanträge der GBW, wie Baureferent Josef Weber dieser Zeitung sagt. Das Baurecht, erklärt er, schreibe vor, dass sich künftige Gebäude in die "nähere Umgebung einfügen" müssen. Das heißt: Wo bereits Hochhäuser stehen, können weitere hinzukommen.

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