Armida-Quartett begeistert in Neunkirchen

19.5.2015, 11:50 Uhr
Armida-Quartett begeistert in Neunkirchen

© Udo Güldner

Es sind die wohl wagemutigsten Klänge, die ein Streichquartett im 20. Jahrhundert seinen Zuhörern zugemutet hat. Mit dem Bogen spielen die Streicher nahe am Steg ihr „sul ponticello“, das eine scharfe, unheilvolle Stimmung erzeugt. Dann ihr „flautando“ nahe am Griffbrett, wodurch weiche und sehr leise Töne möglich sind. Dazwischen schlagen die Saiten beim heftigen Zupfen, dem sogenannten Bartok-Pizzicato, immer wieder auf das Holz.

Von „Schrecken und Qualen“ sprechen die Musik und ihr Komponist Alban Berg (1885-1935). Der Schönberg-Schüler und Zwölfton-Komponist hat damit seiner Geliebten Hanna Fuchs-Robettin, einer Schwester Franz Werfels, ein musikalisches Geständnis gemacht. Wie das tragische Tristan-Motiv im letzten, verzweifelten Satz (largo desolato) zeigt, blieb die Liebe unerfüllt, Alban Berg leidend zurück. Das Armida-Quartett erforscht die zarten Wünsche, die herben Enttäuschungen, die aussichtslosen Hoffnungen mit unerbittlicher Neugier.

Dabei beginnt die „Lyrische Suite“ in fröhlicher Stimmung (allegretto gioviale), die das Armida-Quartett auch beim später einfließenden Ländler wunderbar einzufangen weiß. Dass die Begegnung mit Alban Bergs experimentellem Klangkosmos zum Ereignis wird, liegt an der erschreckend präzisen Interpretation, die Martin Funda (Violine), Johanna Staemmler (Violine), Teresa Schwamm (Viola) und Peter-Philipp Staemmler (Violoncello) anbieten. Vielleicht sollte man angesichts der ungeheuren Expressivität und Risikofreude der Vier und den enormen technischen Anstrengungen, die der Komponist den Musikern abverlangt, aber auch von „erarbeiten“ sprechen. Dass es sich um in strenge Form gegossene Liebesgesänge handelt (andante amoroso), zeigt sich unter anderem an der Widmung für den Komponisten-Kollegen und Mentor Alexander Zemlinsky, dessen „Lyrische Sinfonie“ mit einer Anspielung im leidenschaftlichen Ausbruch (adagio appassionato) zitiert wird.

Auch die erst nach Alban Bergs Tod festgestellte Einarbeitung der in Töne gefassten Initialen H.F. und A.B. in die Partitur. Doch schon bald ziehen dunkle, unheilvolle Wolken auf (allegro misterioso), die zu enorm erregenden emotionalen Ausbrüchen (trio estatico) führen. Der unglücklich Verliebte und mit ihm das Armida-Quartett steigern sich in eine Art fiebrige Atemlosigkeit. Alban Berg wird vom oben geschilderten Wahnsinn erfasst (presto delirando), von der Umnachtung, der Schlaflosigkeit, dem Dahindämmern (tenebroso) umfangen. Eine schroffe Liebestragödie, die einen nicht mehr loslässt.

Auch Leoš Janáceks zweites Streichquartett „Intime Briefe“, das sich der Konzertveranstalter Peter Lichtenberger gewünscht hatte, und Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 11 handeln von der Liebe, von deren Glück und Schmerz. Für beide Seiten, das transparent agierende Armida-Quartett und die ständig geforderten Zuhörer, ist das Konzert ein Kraftakt. Aber einer, der die Mühe und Konzentration lohnt. Selten hat Kammermusik so erschüttert.

 

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