Basketball und FAU: Dieser Erlanger kennt das Geheimnis des Glücklich-Seins

8.10.2018, 19:00 Uhr
Beim Training mit seiner U14-Mannschaft: Jonas Ritzer.

© Harald Sippel Beim Training mit seiner U14-Mannschaft: Jonas Ritzer.

Herr Ritzer, bitte mal ganz ehrlich: So oft, wie Sie in der Sporthalle stehen – haben Sie sonst in Ihrem Leben nichts zu tun?

Doch. (lacht) Ich studiere, arbeite an meiner Masterarbeit. Das ist im Fach Chemie wie ein Vollzeitjob, ich bin jeden Tag im Labor. Der Vorteil ist, dass ich dort wiederum halbwegs flexibel bin. Wenn die Kinder um 16.30 Uhr trainieren, kann ich um 16 Uhr in die Halle fahren. Ansonsten zählt: viel Wille.

Die meisten anderen Menschen möchten nach ihrer Arbeit nur eines: auf’s Sofa.

Diesen Wunsch habe ich gar nicht. Besonders mittwochs und donnerstags habe ich jetzt zuerst das Kindertraining und danach noch das der Herren. Das merkt man an manchen Tagen, das schlaucht. Doch ich mache es lange genug und mir macht es viel Spaß.

Aber: Was genau macht so viel Spaß daran, Abend für Abend in einer Sporthalle zu stehen – ohne dass man selber auf Körbe wirft?

Es ist ein Riesenunterschied, ob man Herren oder Kinder trainiert. Bei den Herren hat man das Gemeinschaftsgefühl, und man sieht direkter das Resultat, wenn man Anweisungen gibt. Bei den Kindern ist das ganz anders: Da ist die Belohnung nicht, dass man ihnen etwas sagt, und das machen sie dann auch. Die Kinder sind zwölf oder 13 Jahre alt. Ich sage etwas, alle nicken, dann drehe ich mich um – und alle machen etwas ganz anderes. Der Luxus hier ist: Kinder sind wie Schwämme. Sie machen riesige Schritte vorwärts, auch weil Kinder bereit sind, etwas Neues auszuprobieren. Das ist schon sehr belohnend.

Haben sie von Beginn an gemerkt, dass sie gerne Trainer sind?

Schwierig. Im ersten Jahr habe ich mich schwerer getan. Umso besser ich geworden bin, umso mehr Spaß hat es mir gemacht. Am Anfang hat man keinen Plan, man versucht zu simulieren, wie man selbst trainiert wurde. Das funktioniert aber mäßig. Wenn man versucht, mit einem Stil zu coachen, der einem nicht entspricht, geht das nicht sehr gut. Im zweiten Jahr hatte ich meinen eigenen Stil gefunden, da habe ich dann auch gemerkt, dass die Kinder das annehmen.

Aber Sie sind jeden Abend in der Halle . . .

Viermal unter der Woche, ja. Montag ist mein freier Abend.

"Vor Basketball war ich beim Turniertanz und in einer Bigband"

Und das stellen Sie nie in Frage?

Doch. Diese Belastung habe ich seit zwei Monaten, da habe ich die zweite Herren-Mannschaft noch übernommen. Jetzt bin ich am Limit, der Punkt ist erreicht, dass ich auch Stellvertreter brauche, wenn ich mal keine Zeit habe. Gerade muss alles andere an einem Abend stattfinden — am Montag, und das klappt halt nicht immer. Insgesamt werde ich aber einfach effektiver. Wenn ich zwei Stunden frei habe, nutze ich die aus für alles, was ich zu erledigen habe. Ich habe aber auch gelernt, dass man sich nicht zu viel stressen darf. Zu Beginn habe ich zu sehr versucht, auf jedes Training perfekt vorbereitet zu sein. Ich wollte immer alles richtig machen. Irgendwann habe ich einen Punkt erreicht: Wenn du das weiter versuchst, drehst du durch. Ich muss ja für drei Mannschaften denken.

Haben Sie überhaupt Freunde, die nichts mit Basketball zu tun haben?

Ja. (lacht)

Und die treffen Sie auch?

Ja. Ich habe auch noch eine Freundin, auch für sie habe ich Zeit. Aber es ist halt viel. Doch ich bin das auch so gewohnt. Zum Basketball habe ich mich eher verirrt, ich war 15 Jahre alt und habe einen Sport gesucht. Das erste Mal beim Basketball-Training war ich, weil die Halle direkt neben meiner Wohnung war. Früher habe ich zwar weniger Basketball gespielt, dafür Turniertanz gemacht und davor in einer Bigband gespielt.

. . . weil alle Wochenenden ja auch wieder mit Basketball belegt sind.

Auch damit habe ich mich arrangiert. Ich treffe mich mit Freunden mittags, wenn abends das Spiel ist. Am vergangenen Wochenende, da war es etwas viel: Meine Kinder haben Samstag gespielt, nochmal Sonntagfrüh. Wir hatten in der Bayernliga Sonntagabend ein Herren-Spiel.

Verraten Sie den Trick, wie man im Kopf trotzdem frisch bleibt?

Spielt selbst in der Bayernliga, trainiert aber auch zwei Mannschaften: Jonas Ritzer hat nur einen Abend in der Woche frei.

Spielt selbst in der Bayernliga, trainiert aber auch zwei Mannschaften: Jonas Ritzer hat nur einen Abend in der Woche frei. © Fotos: Harald Sippel

Man darf auch als Coach Fehler machen. Oder als Spieler im zweiten Training an einem Abend. Wenn ich platt oder müde bin, sage ich das auch. Im Spiel möchte ich natürlich gewinnen. Doch ich profitiere auch nicht groß davon. Wenn wir verloren haben, weil ich schon seit sechs Stunden in der Halle bin, dann sage ich auch: Okay, das ist halt passiert. Es tut mir aber nicht weh.

Sie sind gar nicht überehrgeizig? Das wundert mich.

Gewinnen möchte ich natürlich schon. Es ist mir nicht egal. Doch ist man überehrgeizig, dann vergeht man im Stress.

Waren Sie schon immer jemand, der nicht stillsitzen konnte?

Das hat sich sehr gewandelt. Bis zur zehnten Klasse war ich extrem introvertiert. Großteils war ich fünf, sechs Tage pro Woche zu Hause.

. . .beim Zocken?

Ich habe viel Computer gespielt, ja, und gelesen. Stück für Stück hat sich das gewandelt. Beim TTC Erlangen habe ich Mitte der zehnten Klasse das Tanzen angefangen. Das war tatsächlich auch für Basketball sinnvoll, ich habe ein ganz anderes Körpergefühl entwickelt.

Sind Sie der Typ Oberlehrer?

Nein. Die Klugscheißer-Seite in mir habe ich gelernt zurückzuhalten. Im ersten Jahr als Coach habe ich noch gedacht, man muss alles korrigieren. Doch das nützt überhaupt nichts. Wie sollen denn die anderen etwas lernen, wenn ich alle fünf Sekunden rein schreie?

Wie lernt man das, sich zurückzuhalten?

Am Anfang ist es bewusster Aufwand. Man steht da und denkt sich: "Sag es nicht! Lass sie einfach machen!" Die wichtigste Sache, die ich beim Basketball gelernt habe: Fehler machen ist unbedingt notwendig. Es nutzt also nichts, wenn ich jemanden unterbreche, während er den Fehler macht. Ich muss ihn den Fehler fertig machen lassen und ihn danach ansprechen. Das ist die einzige Chance, damit Erkenntnis entsteht.

"So, wie andere ihre Gemeinschaft in der Kirche haben,
habe ich sie im Sportverein"

Für Ihre Arbeit als Coach bekommen Sie nicht mehr als eine geringe Aufwandsentschädigung, ein paar Euro pro Stunde. Stört Sie das?

(überlegt) Die Kosten-Nutzen-Rechnung gehe ich nicht wirklich ein. Am Anfang habe ich angefangen, weil es notwendig war: Es haben Trainer gefehlt. Das konnte ich nicht vertreten. Ich wollte nicht irgendwo sein, wo eine Mannschaft nicht spielen kann, weil sie keinen Trainer findet. Inzwischen ist es zur Hälfte Arbeit, ich mache es aber auch gerne und es bringt mich voran. Man lernt wahnsinnig viel beim Coachen.

Nicht jeder fühlt sich so für den Verein verantwortlich.

Das merken wir in der Abteilung auch. Es ist schwierig, Leute zu finden, die Verantwortung übernehmen wollen. Ganz viele sehen es wie eine Dienstleistung. Doch wir sind keine Dienstleister, wir sind ein Verein. Bei mir kam das als Selbstverständnis. Beim Tanzen ist das Vereinswesen noch viel enger. Dort wird von jedem Mitglied erwartet, dass es sich für den Verein engagiert. Für mich bedeutet Verein auch Gemeinschaft, das ist der Lohn für die Investition. Es klingt vielleicht blöd, aber es ist wie in einer Kirche. So wie andere dort ihre Gemeinschaft haben, so habe ich sie im Verein.

Was kann ein Verein tun, um mehr Leute wie Sie zu bekommen?

Schwierig. Das Wichtigste ist: Am Anfang muss man die Leute irgendwie erreichen. Dafür muss man sie gezielt persönlich ansprechen, auf sie eingehen. Das Zweite ist: Das Feedback muss stimmen. Wenn man das Gefühl hat, man arbeitet, aber niemanden interessierts, dann ist das bitter. Mit Lob hingegen schafft man sehr viel. Bei mir zum Beispiel ruft Klaus (Thielking-Riechert, d. Red.) an und fragt, wie es gelaufen ist – und um sich noch einmal zu bedanken. Das geht natürlich runter wie Butter.

"Die Bereitschaft, sich Fehler nicht zu sehr
zu Herzen zu nehmen, hilft"

Schaffen Sie es dann, abzuschalten?

Das schaffe ich eigentlich immer ganz gut, egal ob Masterarbeit oder Training. Gelernt habe ich auch das durch Basketball. Diese Bereitschaft, sich Fehler nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen, hilft in der Arbeit ebenfalls. Dass ich nach der Uni wieder in die Sporthalle muss, erlaubt mir, pünktlich abzuschließen mit meiner Arbeit im Labor.

Schaffen Sie es auch als Spieler abzuschalten? Sonntagabend zum Beispiel nach einer Niederlage.

Das ist schwierig. Wenn man als Coach mit seiner Mannschaft verliert, ist das leichter wegzustecken. Man weiß, dass der Einfluss auf das Spiel limitiert ist. Als Spieler denke ich immer: "Was hätte ich auf dem Feld noch besser machen können?" Da brauche ich ein bisschen länger. Nach fast jedem Spiel bin ich noch eine Dreiviertelstunde in der Halle, laufe umher, werfe Körbe. Das brauche ich, um runter zu kommen.

Wenn Sie das erlauben: Mein allererster Impuls wäre, nach einer Niederlage die Halle so schnell wie möglich zu verlassen.

Das ist meine Art, damit umzugehen. Wenn ein Training frustrierend war, bleibe ich noch eine Viertelstunde und mache Liegestützen oder andere Kraftübungen. Ich habe gerne das Gefühl, mit etwas Positivem abzuschließen.

"Es fängt wirklich damit an, dass man irgendetwas macht"

Haben Sie sich mal überlegt, Motivationscoach zu werden?

Ja.

Ja?

(lacht) Ich habe beim Basketball gemerkt: Mir macht es Spaß, diese Begeisterung zu vermitteln. Ich bringe gerne Basketball bei, aber ich zeige auch gerne, dass man einfach Spaß dabei haben muss, etwas zu machen. Bei den Kindern geht es ja vor allem darum. Aktuell schaue ich mich gerade um in dieser Richtung, um das beruflich später zu machen.

Dann bitte, Herr Ritzer, abschließend noch einen Tipp an alle, die den halben Tag daheim vertrödeln, sich anschließend über sich selbst ärgern und deshalb schlechte Laune haben.

Zu denen habe ich auch ganz lange gehört.

Und was haben Sie dann gemacht, um so einen Tag doch noch irgendwie zu retten?

Irgendwas! (lacht) Es fängt wirklich damit an, dass man irgendetwas macht. Man muss nicht die Welt bewegen. Man muss das Gefühl haben, dass man etwas gemacht hat. Am nächsten muss man dann: weitermachen. Das Wichtigste ist: Etwas machen und dann nie damit aufhören. Diese Woche jeden Tag fünf Minuten, nächste Woche jeden Tag zehn. So kommt man voran.

Zur Person: Jonas Ritzer ist in Erlangen geboren, zum Basketball kam er als 15-Jähriger. Aktuell spielt er in der Bayernliga-Mannschaft des TB 88 Erlangen und trainiert die U14 sowie die zweite Herren-Mannschaft. Der 25-Jährige studiert Chemie an der FAU, Anfang 2019 möchte er die Masterarbeit abschließen. Jonas Ritzer würde gern in Erlangen bleiben: „Der Verein ist mir einfach zu sehr ans Herz gewachsen."

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