Demenz: Abwiegeln ist falsch

21.9.2011, 00:00 Uhr
Demenz: Abwiegeln ist falsch

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Prof. Elmar Gräßel, Leiter der Medizinischen Psychologie und Medizinischen Soziologie der Psychiatrischen Universitätsklinik, ist Vorsitzender der Alzheimergesellschaft Mittelfranken. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Versorgung Demenzkranker und bei pflegenden Angehörigen.

Gräßel sieht den Hausarzt ganz besonders in der Pflicht: „Ein guter Hausarzt sieht bei seinen Patienten die Risiken und behandelt die schon in jüngeren Jahren. Bluthochdruck, Zucker, Fettstoffwechselstörungen und Rauchen sind nicht nur schlecht für das Herz, sondern auch für das Gehirn. Sie verschärfen das Demenzrisiko.“

Laut Gräßel ist das Risikoprofil der Patienten eine ur-hausärztliche Aufgabe, der Mediziner muss die gesundheitliche Allgemeinsituation im Blick haben. Dazu gehöre auch, dass er für eine rechtzeitige diagnostische Abklärung sorgt – entweder, indem er das selber macht oder indem er den Patienten zum Facharzt überweist.

Die richtigen Arzneimittel

„Die Therapie gehört in jedem Fall in die Hände von jemandem, der eine Ahnung davon hat“, fordert Gräßel, „denn nur der kann für eine adäquate medikamentöse Versorgung sorgen, das heißt, das/die richtige/n Arzneimittel zum richtigen Zeitpunkt über die richtige Zeitspanne zu verordnen.“ Für die passende Versorgung des Demenzkranken – medizinisch, aber auch pflegerisch – trage der Hausarzt ebenfalls Mitverantwortung.

Nur allzu oft scheuten die Allgemeinmediziner hierbei allerdings die hohen Medikamenten-Kosten (die monatliche Tablettenration für einen Demenzkranken liegt bei durchschnittlich 150 Euro). Diesen Kollegen rät Gräßel, die Patienten entweder an einen Neurologen oder an die Gedächtnissprechstunde einer Klinik — wie zum Beispiel die Institutsambulanz im Klinikum am Europakanal oder die psychiatrische Ambulanz der Uniklinik — weiterzuleiten. Dort erlaube das Budget solche Ausgaben.

In diesem Zusammenhang bricht Gräßel eine Lanze für Mut und Ehrlichkeit: „Wir sprechen hier von einem Markt, der sehr viel Geld kostet. Die Frage ist, wie man das finanzieren will.“

Die gesetzlichen Krankenkassen arbeiten nicht profitorientiert, so Gräßel, sollen aber schwarze Zahlen schreiben; „die Kliniken sind semi-profitorientiert, sind immer mehr eigene Wirtschaftsunternehmen, und die Pharmaindustrie ist privatwirtschaftlich gewinnorientiert. Es ist nötig, klar und laut zu sagen, dass uns unsere Gesundheit weit mehr kostet, als wir im Moment zu zahlen bereit sind. Da muss sich was ändern!“

Patient hat Anspruch darauf

Die hohen Kosten seien zumindest kein Grund, einem Patienten Diagnose oder Therapie zu verweigern. „Abwiegeln ist die absolut falsche Strategie“, sagt Gräßel. „Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde sagen klipp und klar, dass ein Therapieversuch unternommen werden soll, das heißt, der Patient hat auch einen Anspruch darauf.“

Um das alles leisten zu können, muss der Hausarzt auf dem aktuellen Stand sein. Er muss sich also rechtzeitig weiterbilden. Das kann er in Eigenregie tun, er kann aber auch an Schulungen teilnehmen.

So haben Gräßel und Kollegen in den Jahren 2005/06 im Rahmen der Initiative Demenzversorgung in der Allgemeinmedizin eine Schulung angeboten, die 25 Prozent der mittelfränkischen Hausärzte wahrgenommen haben.

Über die Kräfte hinaus

Besonders wichtig ist Prof. Gräßel auch die Betreuung der pflegenden Angehörigen Demenzkranker. Sie sind oft weit über ihre Kräfte hinaus belastet.

„Sind die pflegenden Angehörigen auch Patienten des Hausarztes, dann muss er sich auch um deren Gesundheit kümmern und sie zur Annahme von Entlastung animieren. Das heißt, jeder Hausarzt sollte wissen, wo die nächste Fachstelle für Angehörigenberatung zu finden ist und auch deren Telefonnummer gleich weitergeben können.“

Rosi Schmitt, Leiterin der Fachstelle für Pflegende Angehörige im westlichen Landkreis, bestätigt diese Problematik: „Obwohl sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat, liegt noch vieles im Argen.“

Zu Reformen nicht bereit

Hauptursache sei das fehlende Geld, und die Regierung sei zu Reformen nicht bereit. Ihrer Meinung nach sollte die Demenzbetreuung in die Pflegeversicherung einbezogen werden, so Schmitt, denn die Angehörigen brauchen dringend Unterstützung, auch finanziell, denn dann können sie sich Hilfe holen.

„Angehörige haben überall Einbußen“, weiß Schmitt. „Um zu pflegen, hören sie auf zu arbeiten, haben also finanzielle Einbußen. Das Pflegegeld reicht nicht, und dazu kommt die enorme psychische Belastung.“



Hier seien die Hausärzte besonders gefordert: „Sie müssen die Situation erkennen und ihre Patienten informieren, wo sie sich Hilfe holen können.“

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