Demenz-WG in Erlangen: Fast wie eine Familie

16.2.2016, 18:00 Uhr
Demenz-WG in Erlangen: Fast wie eine Familie

© Foto: privat

Im Februar lässt der große Garten der Villa Maria Ströhla nur erahnen, wie schön er in der warmen Jahreszeit ist. Dennoch spricht der Stolz auf die Gartenanlage aus jedem Satz von Wolfgang Weimer und Monika Waldmann. „Sie müssten sehen, wenn es hier blüht“, sagt Monika Waldmann. „Hier im Garten feiern wir jedes Jahr unser Sommerfest“, sagt Wolfgang Weimer. Er deutet auf den Rasen, der von einem breiten Weg umrundet wird. „Der Weg ist demenzgerecht angelegt“, sagt Monika Waldmann. Man kann hier spazieren gehen. Im Kreis. Ein Weg, der das Ziel nie offenbart.

Demenz-WG in Erlangen: Fast wie eine Familie

© Foto: Harald Sippel

Wolfgang Weimer und Monika Waldmann sind derzeit die Sprecher des Angehörigengremiums der Demenz-WG – eine Aufgabe, die reihum geht. Beide sind bereits seit 2008 und damit am längsten dabei. Seit acht Jahren kennen und schätzen sie sich, der Umgangston ist — wie bei allen Angehörigen — familiär. Der Hintergrund ist jedoch unterschiedlich. Denn damals bezog Wolfgang Weimers Ex-Frau Sylvia im Alter von 49 Jahren auf eigenen Wunsch ein Zimmer in der Villa. Bei ihr war eine Nervenkrankheit diagnostiziert worden, die eine Demenz nach sich ziehen würde. Monika Waldmanns 75-jährige Mutter war aufgrund einer Altersdemenz gemeinsam mit ihrem Mann in die Villa gezogen.

Der Garten und das Haus mit den individuell eingerichteten Zimmern und dem großen gemeinsamen, behaglichen Wohnbereich strahlen etwas sehr Privates aus. Und das ist es im Grunde auch: kein „Heim“, sondern eine Einrichtung von überschaubarer Dimension, in der die Bewohner das Sagen haben – oder die Angehörigen.

„Das Tolle an einer solchen Einrichtung ist, dass die Bewohner und Angehörigen schauen können, ob der Pflegedienst ihren Ansprüchen gerecht wird“, sagt die stellvertretende Pflegedienstleiterin Christine Nass, die die Hausleitung verantwortet. Das gebe ihnen „eine andere Stellung“. Und für den Pflegedienst sei klar: „Wir sind zu Gast bei den Leuten.“

Ihre Wünsche können die meisten der derzeit neun Bewohner nicht mehr in vollem Umfang selbst formulieren. Einen guten, engen Kontakt zu den Angehörigen zu haben und im Austausch mit ihnen zu stehen, sei für den Pflegedienst vor allem bei einer fortgeschrittenen Demenz-Erkrankung wichtig, sagt Christine Nass. Das gilt auch bei ganz alltäglichen Dingen. Dann teilen eben die Angehörigen mit, dass die demenzkranke Mutter schon immer verfroren war. Oder dass sie Schokoladenpudding hasst.

Die Verläufe von Demenzerkrankungen sind sehr unterschiedlich. „Jeder entwickelt sich individuell“, sagt Christine Nass. Monika Waldmann zeigt auf Fotos an der Wand. Vor acht Jahren wurde Wolfgang Weimers Ex-Frau beim Gemüseschnippeln in der Küche abgelichtet, heute sitzt sie im Rollstuhl und reagiert kaum auf das Geschehen ringsum. Zu sehen ist auch Monika Waldmanns Mutter gemeinsam mit dem Vater, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl saß. Die Mutter, die so vergesslich geworden war, dass sie sogar ihren Mann im Rollstuhl beim Bummel in der Innenstadt vergaß, wehrte sich heftig dagegen, in die Demenz-WG zu ziehen. Der Vater setzte sich durch. Dort erlebte er ihren geistigen Verfall mit. Er wurde ihr Kopf, ihre Stimme. Bei gemeinsamen Gedächtnisspielen, bei denen es darum ging, Blumennamen zu nennen, flüsterte er ihr ins Ohr. „Rose, Nelke, Gänseblümchen.“ Dann starb er – vor ihr.

Heute könne die Mutter nicht mehr allein essen oder auf die Toilette gehen, sagt Monika Waldmann. Sie redet kaum noch. Um so wichtiger sei es, sie in guten Händen zu wissen. Und in einer Umgebung, die auch die Vergangenheit einschließt. Im Zimmer der Mutter stehen Möbel, die seit Jahrzehnten zu ihrem Leben gehören. Über der alten Kommode hängt ein eingerahmter Spruch, der die 83-Jährige mit einer Widmung ihrer eigenen Mutter bereits seit 1940 begleitet: „Vergiss es nie in deinem Leben, was deine Eltern dir gegeben: behalt' sie lieb dein Leben lang, dies ist für sie der schönste Dank.“

Irgendwie „aus dem Leben geschmissen“ seien die Bewohner hier, sagt Wolfgang Weimer. Da sei es umso wichtiger, dass die Demenzerkrankten und die Angehörigen sich miteinander wohl fühlen. „Es ist gut, dass man hier andere kennt, die die gleichen Erfahrungen haben. Wir unterstützen uns gegenseitig.“

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