Die Feuerwehr Uttenreuth ist bunt

23.7.2017, 07:00 Uhr
Die Feuerwehr Uttenreuth ist bunt

© Feuerwehr Uttenreuth

Jeden Tag hofft Misbah auf ein Lebenszeichen seiner Familie. Früher, da war Misbah in Semo zu Hause. Ein kleines Dorf in Äthiopien, mit windschiefen Häusern und einer staubigen Straße. Jetzt steht er im Feuerwehrhaus in Uttenreuth, klobige Sicherheitsschuhe an den Füßen, ein Funkgerät in der Hand. "Schachtabdeckung in G5, kommen", spricht Misbah in das Mikrofon, dann wartet er. Das Funkgerät knackt: "Das ist richtig, kommen", bestätigt Kommandant Klaus Funk. Misbah, dunkle Haut, schwarze Haare, wache Augen, strahlt.

Seit September vergangenen Jahres ist der 22-Jährige bei der Feuerwehr. Über Sabine Eberhardt, die ein Herz für die Auszubildenden hat, ist der Kontakt entstanden. Eine Freundin arbeitet bei der Flüchtlingshilfe Buckenhof. "Den Flüchtlingen bleibt oft nichts anderes übrig, als die Zeit totzuschlagen", sagt Eberhardt, "und wir suchen bei der Freiwilligen Feuerwehr immer Nachwuchs."

Ein Syrer und zwei Äthiopier hatten nach der Informationsveranstaltung Interesse, geblieben ist nur Misbah. Er lernt das Ausleuchten, das Bedienen der Wasserspritze oder eben das Funken. "Die anderen Beiden waren vielleicht noch zu jung. Für sie war das ein spannendes Spiel. Als es ernst wurde mit der Theorie, haben sie das Interesse verloren."

Anders Misbah, der "überaus zuverlässig alle Aktivitäten besucht", so Kommandant Funk. "Misbah ist voll integriert, es gibt niemanden, der ihn meidet." Für Misbah sind die Kameraden Freunde, die Feuerwehr ein kleines Zuhause geworden. Und: "Ich kann hier Menschen helfen, die in Not geraten sind. Das gefällt mir", sagt er.

Feuer löschen hierzulande vor allem Ehrenamtliche. Erst Städte ab 100 000 Einwohnern verfügen über Berufsfeuerwehren. Insgesamt gibt es rund 30 000 Wachen. "Wenn jede Feuerwehr zwei Menschen integriert, engagieren sich mehr als 60 000 Personen und können so in der Mitte der Gesellschaft ankommen", sagt Hans-Peter Kröger, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes. "Wenn noch weitere Flüchtlinge Interesse haben, sind sie bei uns herzlich Willkommen", sagt Klaus Funk.

In Äthiopien ist es Misbah, der in Not geraten ist. Seine Familie gehört den Oromo an, einer Volksgruppe, die von der Regierung unterdrückt wird. Verwandte werden unter Generalverdacht gestellt, ohne Anklage werden Menschen Monate, manche Jahre festgehalten. Kommt es zu einem Prozess, sind Familie und Anwälte nicht zugelassen. Viele landen in inoffiziellen Militärcamps, werden gefoltert und vergewaltigt.

Misbah hat eines Tages mit einer Freundin, einem Bruder und dem Vater das Nötigste gepackt und ist aus Semo geflohen. Schlepper haben sie am Strand in wackelige Schlauchboote geprügelt, wer nicht einsteigen wollte, wurde erschossen. Die Familie verlor sich in diesem Durcheinander. Nach wenigen Stunden ging der Motor aus. Tagelang trieben sie in sengender Sonne auf hoher See, ohne Nahrung, ohne Wasser. Männer rutschten entkräftet ins Wasser, Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm schrien, sie schrien so entsetzlich, das Misbah sie manchmal nachts in seinen Träumen noch hören kann. Er hatte dort draußen mit seinem Leben schon abgeschlossen, nach gerade einmal 20 Jahren. Er war nicht allzu traurig, er hatte den Weg in ein besseres Leben wenigstens versucht. Dann schickte Allah doch noch ein Containerschiff, das sie rettete und die Übriggebliebenen nach Italien brachte.

Misbah schlug sich durch, strandete in den Containern in Buckenhof. Dort teilt er sich ein kleines Zimmer mit Bett, Schrank, Tisch und zwei Stühlen. Es gibt Duschen, eine Küche, einen Gemeinschaftsraum und sehr engagierte Helfer. Doch die Vergangenheit hinter sich lassen, das ist schwierig; jeden morgen nach dem Aufstehen, erzählt Misbah, sieht er auf Facebook nach, ob sich sein Vater oder sein Bruder gemeldet haben. So haben sie es ausgemacht. Doch es kommt keine Nachricht mehr seit dieser Nacht am Strand.

Dann fährt Misbah in die Berufsschule, besucht Praktika — in den Zeugnissen wird er als fleißiger, verlässlicher, hilfsbereiter Mitarbeiter gelobt. "Ich möchte Automechaniker werden", sagt er, dann könnte er aus den Containern ausziehen, vielleicht eine kleine Familie gründen. Das ist sein Traum von einer Zukunft in Deutschland.

Vor ein paar Wochen, es war Feuerwehrfest, durfte er das erste Mal die schicke Feuerwehr-Uniform anziehen. Unbedingt wollte er beim Aufbau helfen, "und war ein wenig enttäuscht, als es kaum etwas zu helfen gab", sagt Sabine Eberhadt.

Misbah bekam eine Urkunde überreicht, es sah so aus, als wäre er schlagartig ein paar Zentimeter gewachsen. Auch den Freunden am Tisch ging das so: Ein afrikanischer Kamerad, das hat es in der Freiwilligen Feuerwehr noch nicht gegeben.

 "Etwa ein Prozent der Migranten", sagt Johanna Rauch vom Landes-Feuerwehr-Verband, "engagierten sich in den 1074 Freiwilligen Feuerwehren in Bayern." Ruft jemand die Feuerwehr, erhält auch Misbah im Container eine Alarmierung und radelt los zum Feuerwehrhaus.

Bilder auf seinem Mobiltelefon zeigen ihn als Feuerwehrmann. Nach Hause senden, das geht nicht, die Familie hat den Kontakt abgebrochen. Es ist zu gefährlich, nach Misbahs Flucht klopfte die Polizei an die Tür und nahm Familienmitglieder mit. Seitdem sind sie wie vom Erdboden verschluckt. Einmal noch hat er angerufen, seitdem gibt es keinen Anschluss mehr unter der Nummer.

Doch auch das zarte Pflänzchen Glück in Uttenreuth ist zerbrechlich; Misbah droht die Abschiebung. Nicht nur Sabine Eberhardt macht das sehr traurig: "Misbah ist ja nicht irgendwer", sagt sie, "er ist einer von uns."

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