Eckental: Das Leben trotz Blindheit souverän meistern

4.6.2018, 06:00 Uhr
Eckental: Das Leben trotz Blindheit souverän meistern

© Petra Malbrich

Es ist Martin Kempe einfach so herausgerutscht, als er seinen Masseur Harald Pilhöfer bei der Dämmerung im Aufenthaltsraum der physiotherapeutischen Praxis sitzen sah: "Mach doch das Licht an, dann ist es nicht so dunkel!". Für den 38-jährigen Harald Pilhöfer macht es allerdings keinen Unterschied, ob Licht an ist oder nicht. "Je mehr ein Sehender vergisst, dass der Blinde blind ist, umso besser ist es", betont Pilhöfer.

Er selbst spricht auch in der Sprache der Sehenden. "Ich sage zum Beispiel, dass ich gestern einen Patienten gesehen habe, und nicht, dass ich ihn gehört hätte." Natürlich gibt es auch traurige Momente, Augenblicke, in denen er sich wünscht, auch sehen zu können. "Es ist wie in der Natur. Da gibt es auch nicht nur Sonnenschein, sondern graue Tage und Regen." Um als Baby überhaupt eine Überlebenschance zu haben, musste bei Pilhöfer das Retinoblastom, ein bösartiger Tumor in der Netzhaut, entfernt werden. Beide Augen wurden ihm genommen und durch Glasaugen ersetzt.

Aber ein blindes Kind kann nicht so erzogen werden wie ein sehendes. Nach dem Regelkindergarten kam der heutige Eckentaler deshalb in das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Langwasser. Für Pilhöfer, der in Edelsfeld im Landkreis Amberg-Sulzbach aufgewachsen ist, bedeutete dies einen Internatsbesuch. "Einem blinden Kind muss man die Dinge anders beibringen. Es braucht geschultes Personal dazu", erläutert Pilhöfer. So lernte er nicht nur die Blindenschrift in der Schule, sondern auch putzen und andere Arbeiten, die zum Alltagsleben gehören. Und er erlernte seinen Beruf in der Schule. "Ich wollte eigentlich Sprachen lernen und Telefonist werden", erinnert sich Pilhöfer. In der Blindenschule gab es die Möglichkeit, in geeigneten Berufen aus dem kaufmännischen Bereich, als Korbflechter oder eben als Masseur ausgebildet zu werden. Als ein Berufsfindungsseminar stattfand, war es sein Vater, der ihn dazu motivierte.

Am Modell gelernt

"Als Masseur muss man nicht sehen können", so Harald Pilhöfer. In der Ausbildung bekamen die angehenden Masseure beispielsweise das Modell eines Hüftgelenks in die Hand, um es zu benennen lernen. Damals war es ein gefragter Beruf, was heute längst nicht mehr so ist. Massagen werden nicht mehr so oft verschrieben und sind nun eher bei Kuranwendungen oder im Wellnessbereich zu finden. So hatte auch Harald Pilhöfer zunächst einen 20-Stunden-Job in einer Praxis in Eckental und wollte aufstocken.

Deshalb rief in der physiotherapeutischen Krankenpraxis von Martin Kempe an. Er brauchte zwar einen Masseur mit Fortbildung für Lymphdrainage, sagte zunächst jedoch ab, da auch Hausbesuche ausgeführt werden müssten. "Ich musste das nur anderes organisieren. Die Hausbesuche hat dann eine andere Mitarbeiterin übernommen", erzählt Kempe. Pilhöfer arbeitet inzwischen in Vollzeit. Die Fähigkeiten des blinden Masseurs haben sich längst in der Region herumgesprochen. Von den Patienten erntet er viel Lob.

Musik am Akkordeon

Harald Pilhöfer kann sich problemlos in den Räumen bewegen und ebenso zu Hause seinen Hobbys nachgehen. So spielt er beispielsweise Akkordeon in einer Band - auch ohne die Noten zu sehen. Ebenso lernte er mit einem Orientierungs- und Mobilitätslehrer seine Umgebung kennen.

Vom Haus in Brand aus die Treppe hinunter, weiter bis zum Rasenende, dann eine 90-Grad-Drehung nach links und schließlich laufen, bis die Straße zu hören ist: Auf diese Art erstellt sich Harald Pilhöfer im Kopf Landkarten, mit denen er Herausforderungen wie den Weg zur Arbeit oder zu Geschäften meistert. "Beim Einkaufen im Supermarkt braucht man freilich eine Begleitperson." Diese Rolle übernimmt seine Frau Dominique, mit der er seit vier Jahren verheiratet ist.

Auch Harald Pilhöfers vierjähriger Sohn Moritz ist schon mit der Blindheit des Papas vertraut. "Papa, du nimmst das Mini-Feuerwehrauto. Warte, ich hole es dir", ist er ihm gegenüber sehr hilfsbereit.

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