Ein Spaziergang zwischen den Kulturen

1.10.2013, 00:00 Uhr
Ein Spaziergang zwischen den Kulturen

© Harald Sippel

Etwa 700 Chinesen leben in Erlangen. Manche von ihnen sind schon heimisch geworden und haben Familien gegründet. Andere haben von Anfang an beschlossen, nur vorübergehend hier zu bleiben. Mit Hilfe eines Studiums oder von Arbeitserfahrungen wollen sie ihre Karriereaussichten in China verbessern. Gemeinsam ist allen, dass sie sich in ihrem derzeitigen Alltagsleben in Erlangen eingerichtet und Kontakte geknüpft haben.

Die Bibelgruppe: Die chinesische Bibelgruppe zum Beispiel versammelt sich jeden Samstagabend um 18 Uhr im Seminarraum der freien Baptisten-Gemeinde. Die Gruppe hat zirka 20 Teilnehmer. Die meisten sind berufstätig und verheiratet. Sie besuchen die Veranstaltung mit ihren Familien. Dann kommt es auch vor, dass Babys weinen, wenn schöne christliche Lieder auf Chinesisch gesungen werden. Martin Langstädtler, Gründer der Bibelgruppe, sagt über die Unterschiede zwischen chinesischen und deutschen Christen: „Mit Chinesen muss man mehr Geduld haben. Es hat vier Jahre Überzeugungsarbeit gebraucht, bis ich den ersten Chinesen in meiner Gruppe aufnehmen konnte.“

Die Chinesen, so Langstädtler, würden aus anderen Gründen als Europäer am christlichen Glauben zweifeln. „Die neu Kommenden verstehen die Exklusivität dieses Glaubens oft nicht. Wer sich in China für den christlichen Glauben interessiert, tut dies nicht offiziell und hängt meist auch noch einer anderen Religion wie zum Beispiel dem Buddhismus an“, sagt Bibelgruppen-Mitglied Sha Jiang.

Die Zugehörigkeit zu mehreren Religionen gleichzeitig sei in China etwas ganz Normales. Dahinter steckt die klassische philosophische Idee von „Zhong Yong“ — zwischen verschiedenen Mächten wird ein Ausgleich angestrebt.

Der Stammtisch: Nina Kong, die gerade ihr Diplomstudium Germanistik beendet hat, steht unter dem Zwang der Arbeitssuche. „Die Konjunktur sieht nicht gut aus“, sagt sie besorgt. Sie freut sich über einen chinesischen Stammtisch, der regelmäßig am Wochenende stattfindet.

Die Hauptrolle bei einem solchen Stammtisch spielt ausnahmslos das Essen. Die selbst gemachten heimischen Delikatessen mildern das Heimweh und den Druck aus der Arbeit oder dem Studium und verbinden Menschen, die sich nicht kennen. Für die Chinesen ist Kochen ein wunderschönes Thema, über das man gern miteinander spricht.

Eine Zigarette unter Freunden: Die Chinesen sind die größte ausländische Studentengruppe an der FAU. Doch weil sie verschiedene Fächer studieren, verteilen sie sich. Im Chinesischen würde man sagen: Sie sind wie „Pandas“ — seltene Tiere, die nur vereinzelt anzutreffen sind. Deshalb schließen sich die meisten eng an deutsche Kommilitonen an. Allerdings stoßen diese Freundschaften in der Regel auf eine Barriere. Schwer zu sagen, was das genau ist. „Die höfliche Entfernung“ wird aber am meisten erwähnt.

„Meine Freunde sind nett. Aber sie verhalten sich manchmal, als ob wir uns noch nicht kennen würden“, sagt beispielsweise Maschinenbau-Student Wei Wang. „Ein Freund von mir vergaß einmal, seine Zigaretten mitzubringen. Ich gab ihm natürlich eine. Eine Woche später gab er mir eine Zigarette zurück. So ein Hin und Her gäbe es in China nicht, meine Freunde dort machen solch kleinliches Kalkül nicht.“

Gemeinsam im Verein: In China dominiert die Regierung alle Aspekte des alltäglichen Lebens. Das lässt nur wenig Raum für private Zusammenkünfte. „Leben als Community“ ist ein fehlender Begriff im Bewusstsein der Chinesen.

Die Erfahrung in Deutschland mit seinen Vereinen und dem bürgerschaftlichen Engagement ist für Chinesen eine Anregung. So bemüht sich der Verein der Chinesischen Studenten und Wissenschaftler in Erlangen (VCSWE), den kulturellen Austausch zu fördern. Er veranstaltet jedes Jahr ein chinesisches Frühlingsfest, bei dem mit selbst organisierten Darbietungen das Neue Jahr gefeiert wird. Dies bietet denjenigen, die sich für China interessieren, eine Chance, die populäre sowie traditionelle chinesische Kultur kennen zu lernen.

Der VCSWE will sich demnächst ins Vereinregister eintragen lassen. Dann könnte der Verein es sich auch leisten, in Zukunft mehr Veranstaltungen als bisher anzubieten. „Wenn wir ein beim Amtsgericht registrierter Verein sind, bekommen wir von der Stadt mehr Unterstützung“, hofft Vereinschefin Lu Liu.

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