Eine Luther-Bibel wird in Erlangen durchleuchtet

5.1.2019, 06:00 Uhr
Eine Luther-Bibel wird in Erlangen durchleuchtet

© Günter Blank

Für das Porträt des Reformators in der Luther-Bibel der Bad Windsheimer Stadtbibliothek scheinen Fragen nach der Echtheit längst beantwortet. Seine Herkunft aus der Werkstatt von Lucas Cranach dem Älteren ist ebenso wie die Echtheit der handschriftlichen Widmung Luthers für den Ansbacher Kanzler Georg Vogler mehrfach von kompetenter Seite als höchst wahrscheinlich erachtet worden, vom Germanischen Nationalmuseum ebenso wie erst kürzlich wieder vom Reformationshistoriker und Paläographen Ulrich Bubenheimer.

Gleichwohl ist diese, 1535 in Wittenberg von Hans Lufft gedruckte Bibel für die Wissenschaftler von derart herausragender Bedeutung, dass sie die Experten ab und zu gleich zu viert anrückten, um Bildnis und Bibel buchstäblich zu durchleuchten. Vorläufiges Ergebnis: Die "persönliche Einschätzung" von Projektmitarbeiter Daniel Görres bestätigt bisherige Befunde, definitiv sagen könne er dies erst nach Abschluss der umfangreichen Analyse.

So viel ist selten los in Michael Schlossers Büro. Der Stadtarchivar hat Besuch von vier Mitarbeitern jener drei Institutionen, welche an dem mit knapp einer Million Euro von der Leibniz-Gemeinschaft geförderten, im Juni dieses Jahres gestarteten und auf drei Jahre ausgelegten Projekts beteiligt sind: Daniel Görres und Wibke Ottweiler vom Germanischen Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg, Amalie Hänsch von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und Thomas Klinke von der Technischen Hochschule in Köln. Sie haben einen ganzen Kleintransporter voller Ausrüstung dabei: Kameras, Laptops, große Studio-Scheinwerfer und diverse kleine Lampen, Mikroskope, Fadenzähler und alles, was es an technischem Gerät braucht, um Bild und Bibel unter Einsatz von ultraviolettem oder Infrarotlicht zu betrachten und zu fotografieren.

Was macht gerade die Windsheimer Bibel so interessant für die Forscher? Die Antwort gibt Daniel Görres: Es handelt sich "um das einzige bekannte Beispiel eines Luther-Bildnisses auf Leinwand" und es geht auf einen Bildtypus zurück, der um 1528/29 in der Cranach-Werkstatt aufkommt. Dass gerade Cranach den Reformator des Öfteren porträtierte, hat laut Görres einen ganz banalen Grund: Beide waren praktisch Nachbarn. Die Windsheimer Lutherbibel ist den Mitarbeitern vom Nationalmuseum keine Unbekannte. Eben dort wurde sie 1983 restauriert, ehe sie in mehreren Ausstellungen zu sehen war.

Seinerzeit wurde bereits festgestellt, dass das Lutherbildnis auf der Innenseite des Vorderdeckels tatsächlich aus der Cranach-Werkstatt stammt. Das Porträt ist von einer farblich sehr intensiven Darstellung und – weil der Buchdeckel über die Jahrhunderte wohl meist geschlossen war – gut erhalten, stellt Daniel Görres fest. "Die Bibel ist ein besonders schönes Exemplar", sagt er, bezogen auf das Bild. Und sie könnte noch manche Antwort geben auf die Fragen der Wissenschaftler: Waren das mit Tempera-Farben geschaffene Lutherbildnis und die persönliche Widmung des Reformators von Beginn an Bestandteile des Buches oder wurden sie später hinzugefügt? Was verrät das entdeckte Wasserzeichen? Lässt es Rückschlüsse auf das verwendete Papier zu und ist dieses durchgehend von derselben Herkunft? Was bedeuten die örtlich begrenzten Spuren von früherem Anobienfraß, was also will uns der Holzwurm selig sagen?

Antworten auf diese und andere Fragen mehr erhoffen sich die Wissenschaftler von der Auswertung ihrer gesammelten Daten. Mittels Infrarotfotografie lassen sich beispielsweise etwaige Unterzeichnungen auf der Leinwand des Porträts sichtbar machen, hierzu werden Details des Gesichts genau untersucht. Zwischendurch knipst Wibke Ottenberger schon mal mit dem Handy durch ein Okular des Stereomikroskops – "als Erinnerungsstütze".

Das Quartett, das bei Schlosser zu Gast war, wird Mosaiksteine zum erhofften Gesamtbild über die Bilder Luthers beitragen. "Weltweit werden alle Lutherporträts des Untersuchungszeitraums kunsttechnologisch untersucht, digital erfasst und durch spezielle Analyseverfahren in ihren relativen Ähnlichkeitsverhältnissen dargestellt", beschreibt das Cranach Digital Archive das Vorgehen.

Beweggründe und Ziele der aufwendigen Forschungsarbeit zu den Luther-Bildnissen fasst das Germanische Nationalmuseum auf seiner Homepage wie folgt zusammen: "Die Bedeutung Martin Luthers für die Religions- und Kulturgeschichte ist unbestritten, wenige Menschen seiner Zeit wurden so häufig porträtiert. Anders als seine Werke sind die für seine Wirkungsgeschichte ebenso wichtigen zeitgenössischen Porträts jedoch weder vollständig gesammelt noch kritisch erschlossen. Anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 wurden diese Bildnisse gleichwohl weltweit massenmedial präsentiert und vermarktet, obwohl über ihren historischen Verwendungszusammenhang, ihre Datierung und ihre Authentizität teilweise Unklarheit herrscht. Jüngere Untersuchungen zeigten, dass einzelne als authentisch geltende Schlüsselwerke später als angenommen gefertigt wurden und damit der nachträglichen ikonographischen Überhöhung des Reformators zu dienen schienen. Vor diesem Hintergrund ist ein kritisches Werkverzeichnis der frühen Luther-Bildnisse (1519–1530) ein wissenschaftliches und kulturpolitisches Desiderat."

Oder, anders gefragt, wie es das Cranach Digital Archive tut: "Welchem Lutherbildnis können wir trauen?" Sah der fromme Mönch, der Junker Jörg, der Reformator, der Ehemann Katharina von Boras wirklich so aus wie auf den Bildern, die in immer größerer Zahl entstanden, die sich gut verkauften, je berühmter der "erste Medienstar der Geschichte" wurde? Zeigen die Bildnisse Luther tatsächlich in einem spezifischen Moment seines Lebens oder sind sie lediglich "Zeugnisse für die nachträgliche Heroisierung und Verehrung des Reformators?".

Antworten soll das hochkarätige, interdisziplinäre Forschungsprojekt von GNM, TH Köln und Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg geben. Und ein klein wenig vielleicht auch der Martin Luther in der kostbarsten Bibel des Bad Windsheimer Stadtarchivs, die aktuell mit einem Wert von 300 000 Euro versichert ist. Mindestens einer der Wissenschaftler will in den nächsten Wochen ein weiteres Mal nach Bad Windsheim kommen, um die Untersuchung des Buches an sich abzuschließen, etwa mittels Papierstrukturanalyse und der systematischen Aufzeichnung aller Wasserzeichen. Bis dahin wird die Bibel von Michael Schlosser wohlbehütet in ihrer maßgeschneiderten Restauratoren-Buchkassette im Tresor des Stadtarchivs schlummern.

"Ein besonders

schönes Exemplar."

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