Erlangen: Am ersten Arbeitstag nach Elternzeit gekündigt

11.12.2016, 13:02 Uhr
Erlangen: Am ersten Arbeitstag nach Elternzeit gekündigt

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"Kinder am Theater – das geht eben nicht." Als die Schauspielerin Anika Herbst auf Facebook einen wohl ironisch gemeinten Kommentar unter dem von ihr geposteten Foto lesen musste, konnte sie darüber natürlich nicht lachen.

Auf der Seite von "Ensemble-Netzwerk" hatte sie im Stil der aktuellen Kampagne zur Verbesserung der Situation an den deutschen Bühnen von ihrem Schicksal als Schauspielerin an einem Stadttheater berichtet: Zum Ende ihrer vierten Spielzeit als Ensemble-Mitglied am Theater Erlangen wurde ihr mitgeteilt, dass aus "künstlerischen Gründen" der Vertrag nicht verlängert wird. "Am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit wurde mir gekündigt", sagt Herbst dazu.

Auf dem Foto posiert sie grell geschminkt mit ihren beiden Kindern im Arm. Ein Vertrags-Aus ist in dieser Branche nichts Ungewöhnliches. Aber sich jetzt um eine Neuanstellung zu kümmern, ein Netzwerk für die Kinderbetreuung neu zu knüpfen, Bewerbungen zu starten ist für sie schier unmöglich. Der Weg in die Arbeitslosigkeit droht.

Der Schauspieler-Beruf in Deutschland ist ein Leben in "prekären" Umständen. Jenseits der Bühnen-Stars, die via TV und Kino ihr Einkommen gewaltig aufbessern, existiert eine verschwitzte Welt, in der nichts glitzert: Im "Normalvertrag Bühne" für "Solisten" - der auch Dramaturgen oder Theaterpädagogen betrifft - liegt der Mindestlohn bei 1765 Euro (ab 1. Januar erhöht auf 1850 Euro). Die "erlaubte Wochenarbeitszeit" beträgt 48 Stunden (Text-Lernen und andere Vorbereitungen tauchen darin gar nicht erst auf, die Arbeit an Sonn- und Feiertagen wird nicht extra berücksichtigt).

Auf einer Stufe mit "Küchenhilfen"

Auf ein, zwei Jahre befristete Verträge sind die Regel. Parallel dazu arbeiten an den Theatern aber auch (Bühnen-)Mitarbeiter, die nach den Tarifen des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Im Vergleich dazu steht ein Schauspieler - für den ein mehrjähriges Studium obligatorisch ist - beim Karrierestart laut "Ensemble-Netzwerk"meist auf einer Stufe mit "Küchenhilfen, Reinigungskräften und Boten".

Glücklich ist auch Erlangens Intendantin Katja Ott nicht mit den Tarif-Strukturen, verweist aber darauf, dass in Erlangen nach der Erhöhung des städtischen Zuschusses alle Mitarbeiter mit "Solisten-Verträgen" mehr als die festgeschriebene Mindestgage bekommen. Ott: "Dafür sind wir auch schon offen von anderen Häusern attackiert worden." Denn überall herrsche der Zwang, mit eigentlich zu kleinen Etats arbeiten zu müssen.

Die fehlende Sicherheit für die Beschäftigten ordnet sie hingegen für beide Seiten unter den Begriff "künstlerische Freiheit" ein, die notwendig sei, um einen kreativen Betrieb an einem Haus zu ermöglichen und eine Künstlerkarriere voranzutreiben. Ott: "Dieser Beruf ist in ganz Deutschland nur befristet auszuüben, egal ob am Theater oder beim Film. Das weiß jeder, der in diesen Beruf geht."

Unruhe in der Kulturszene

Die Forderung einer Gagen-Erhöhung kann sie nachvollziehen - und unterstützt diese auch. "Wir reden hier aber über grundsätzliche Probleme." Den konkreten "Fall", also die Nichtverlängerung des Vertrages von Anika Herbst, darf sie aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht kommentieren. Nichtverlängerungen seien aber der Alltag am Stadttheater: "Was man auf der Bühne sieht, ist zudem nur ein Teil der Arbeit."

Während ihres Engagements in Erlangen hatte Herbst zwei Kinder bekommen, also mit Unterbrechungen gearbeitet, stand aber ansonsten regelmäßig auf der Bühne - durchaus mit Erfolg: 2014 erhielt sie vom Theater-Förderverein für ihre "herausragenden Leistungen" den Erlanger Theaterpreis. Zudem engagiert sich Herbst als "Obfrau" in der Gewerkschaft "Genossenschaft der Deutschen Bühnenangehörigen (GDBA)" und in sozialen Projekten. Herbst: "Ich bin in dieser Stadt verwurzelt."

Intendantin Ott betont, dass an ihrem Haus besagtes Engagement keinesfalls misstrauisch beäugt werde oder gar Auswirkungen auf Personalentscheidungen habe. Eine Benachteiligung von Mitarbeitern mit Kindern gebe es nicht: "Ob mit oder ohne Kinder ist mir vollkommen wumpe." Im EN-Gespräch versichert sie: "Es wird von uns eine sozialverträgliche Lösung wegen der besonderen Situation der jungen Mutter angepeilt."

Bis dahin sorgt die Kündigung von Anika Herbst aber weiter für Unruhe in der Kulturszene und spaltet die Theater-Belegschaft. Rund die Hälfte der Beschäftigten hat sich mit ihrer Unterschrift für eine Weiterbeschäftigung von Herbst eingesetzt.

Auch Stadträte machen sich dafür stark und bezeichnen die Entlassung als "Sauerei" - egal, ob diese ins Risiko der künstlerischen Freiheit fällt oder nicht.

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