Erlangen: Das World Wide Web ist weder gut noch böse

22.1.2018, 06:00 Uhr
Erlangen: Das World Wide Web ist weder gut noch böse

© Edgar Pfrogner

Wird der Umgang untereinander und die Kommunikation miteinander rauer? Das war die Frage, unter der der jüngste EN-Stammtisch im E-Werk stand. Dort war vor rund 100 Besuchern davon zumindest nichts zu spüren: Obwohl es bei Podiumsrunden zunehmend beliebt ist, andere nicht ausreden zu lassen, blieb der Ton auf dem Podium am Sonntag doch eher gepflegt und gemütlich.

Das lag zum einen an den Teilnehmern, zum anderen auch an einer weitgehenden "Sowohl-als-auch"-Übereinstimmung in der Sache: Ja, der Ton, insbesondere in den sozialen Netzwerken, gewinnt an Schärfe, und nein, das Internet ist nicht (nur) böse, war die vorherrschende Meinung. Man müsse nur richtig damit umgehen können, etwa durch (mehr) Medienbildung in den Schulen.

Das Besondere an der Veranstaltung: Gäste und Moderatoren wissen nur zu gut, worüber sie reden. Da ist zum einen der Erlanger Kinder- und Jugendpsychiater sowie Buchautor Johannes Wilkes. Der Mediziner sieht bei seiner Arbeit, welch drastische Folgen Diffamierungen im Netz gerade auf Heranwachsende haben (können). "Mobbing in der Schule gab es schon immer", sagte er, "aber ich habe jetzt Kinder und Jugendliche in Behandlung, die sich aufgrund von Einträgen in den sozialen Medien nicht mehr in die Schule trauen."

Das habe eine andere Dimension; früher hätten solche Gängeleien unter Klassenkameraden irgendwann ein Ende gefunden. "Heute aber bleiben die Attacken für immer im Netz.".

Auch Udo Eidinger, Dramaturg am Theater Erlangen, hat sich unter anderem für das aktuelle Stück "#Meinungsmacher" kritisch mit Facebook und Co. auseinandergesetzt.

Das müssen die beiden Moderatoren, EN–Redaktionsleiter Markus Hörath und EN-Kulturredakteur Stefan Mößler-Rademacher fast tagtäglich: Er sei bisweilen "sprachlos", berichtete Hörath, über die "hate speech", also die Hassreden, die oft sogar mit Namen auf den Facebook-Seiten der Erlanger Nachrichten zu finden seien.

Schnelle Verbreitung

Nur der Erlanger Gastronom Volkmar Ziche ("Transfer") entdeckt bei seinen Gästen kaum oder gar keine negativen Veränderungen im Verhalten. Das aber überraschte Eidinger kaum: "Früher", sagte der Dramaturg, "ging es bei Stammtischen und in der Kneipe sicherlich auch einmal hoch her, aber da sprach einer und es hörten vielleicht fünf, jetzt postet einer etwas in den sozialen Netzwerken und die Sätze verbreiten sich sofort unter Tausenden."

Anonymität und Reichweite sind folglich, so die Diskussionsteilnehmer, Fluch — und in gewisser Weise Segen zugleich. Denn durch die schnelle und für jeden zugänglichen Informationsquellen ergeben sich, natürlich, auch die positiven Seiten der Medaille, die Wilkes, Ziche und Eidinger ebenfalls herausstellten.

So verwies der Psychiater auf kritische Gegenstimmen im Netz, die bei Beleidigungen oder sogenannten Fake News, also gezielten Falschmeldungen, aktiv werden. Zudem seien Online-Petitionen, etwa zu Fragen der Flüchtlingspolitik, ein geeignetes Instrument der politischen Meinungsbildung und Mitbestimmung, wie Ziche betonte. Auch das ein Vorteil.

Ähnlich sieht das Eidinger: Früher, betonte er, seien ausländerfeindliche Äußerungen ohne große Resonanz geblieben, heute formiere sich im Netz dagegen meist Widerstand. Damit habe das Internet auch zur Demokratisierung beigetragen.

Zudem ist für den Dramaturgen das World Wide Web eine Art Nachschlagewerk: "Wer Fragen zu was auch immer hat, findet im Netz Antworten". Das Internet an sich ist somit, wie Wilkes treffend feststellte, "weder gut noch falsch".

 

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