Erlangen: Flüchtlingsdebatte ohne Minister Herrmann

1.2.2015, 17:13 Uhr
Erlangen: Flüchtlingsdebatte ohne Minister Herrmann

© Fotos: Harald Sippel

Wenn es um Asylsuchende und Integration geht, hat Erlangen bundesweit Vorbildfunktion. Die Stadt leistet mit der Ausstattung von Unterkünften und Hilfsangeboten auch ehrenamtlicher Art weit mehr als sie müsste – und tut das auch gerne. Deshalb verwahrte sich OB Florian Janik gleich zu Beginn der Diskussion gegen den Begriff der „Flüchtlingslast“. Der wird oft in Zusammenhang mit den europäischen, aber auch innerdeutschen Verteilungsquoten verwendet. „Die allermeisten Länder sind in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte er. Es handle sich mehr um eine Frage des Wollens denn um eine des Könnens: „Wir müssen uns überlegen, ob wir tausende Menschen, die die Risiken einer Flucht auf sich nehmen, einfach im Mittelmeer ersaufen lassen“. Es sei daher falsch, bei der Aufnahme von Flüchtlingen von einem „schrecklichen Problem“ zu reden.

Probleme aber gibt es trotz allem – und die liegen vor allem an der Legislative. Mehrfach nannten die Podiumsteilnehmer – neben OB Janik – Alexander Thal (Bayerischer Flüchtlingsrat), Pfarrer Matthias Wünsche (Gemeinde Herz Jesu) und Mohamed Abuelqomsan (Islamische Gemeinde) zahlreiche Beispiele dafür, wie Gesetze und ihre Ausführung eine bessere Flüchtlingspolitik verhindern. So wundert sich etwa der Kommunalpolitiker Janik, dass Städte Asylbewerber schnell und effektiv aufnehmen können, staatliche Institutionen, die „über weitaus mehr Geld, bessere Strukturen und eigene Immobilien verfügen“, aber nicht in der Lage seien, ausreichend Erstaufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Ohne die Staatsregierung – und damit Minister Herrmann – direkt anzusprechen, wurde klar, wer gemeint war.

Viele Integrationshindernisse

Thal sprach besonders Arbeitsverbote und die Pflicht zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften an, die eine Integration so gut wie unmöglich machten („Einem Asylbewerber hilft ein Nachbar gerne, aber was ist mit 300?“). Aus den dicht gefüllten Zuhörer-Reihen kam ebenfalls immer wieder ähnliche Kritik. Ein Besucher sprach aus eigener Erfahrung: Er könne und wolle einer Flüchtlingsfamilie eine Wohnung zur Verfügung stellen, dürfe es aber nicht: „Warum“, wollte der Erlanger wissen, „ist das so – und kann man das nicht ändern?“

Regularien ändern oder zumindest den Anstoß dazu geben könnte Joachim Herrmann. Der Innenminister, der für Aufenthalts- und Asylrecht mit zuständig ist, wäre in der Debatte also der richtige Adressat gewesen. Der Christsoziale aber hatte (wie berichtet) die Teilnahme an der Veranstaltung in seiner Heimatstadt kurzerhand zurückgezogen. Begründung: Moderatorin Petra Bendel, Geschäftsführerin des Zentralinstituts für Regionenforschung an der Erlanger Uni, habe in einer wissenschaftlichen Arbeit eine zu kritische Haltung zu seiner Partei vertreten und sei deswegen voreingenommen. Die Professorin selbst, die sich im Gespräch mit unserer Zeitung über die Absage verwundert zeigte („Ich habe keine Parteipolitik bewertet, sondern eine wissenschaftliche Analyse durchgeführt, so wie es meine Aufgabe ist“), strafte auf dem Podium Herrmanns Bedenken jedoch Lügen. Ihre Anmerkungen und Fragen waren rein sachlich.

Um die Unzulänglichkeiten bayerischer Flüchtlingspolitik deutlich zu machen, braucht es gar keine Stimmungsmache. Die in den mehr als zwei Stunden zusammengetragenen Fakten überzeugten auch so. Allein die wenigen Sätze, mit denen die afghanische Asylbewerberin Khadija Wahedi ihr Schicksal schilderte, ging unter die Haut. Fünf Monate war sie mit Mann und Baby zu Fuß unterwegs gewesen, erzählte die junge Frau in beinahe akzentfreiem Deutsch. Das kleine Boot, mit dem Schlepper die Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa brachten, wäre fast gekentert: „Wenn die italienische Polizei später eingegriffen hätte, wäre das Schiff gesunken.“ Seit vier Jahren lebt die Familie in einem kleinen Zimmer in einem Erlanger Asylheim. Das sei in mancher Hinsicht unbefriedigend. Dennoch sei sie sehr froh, in Deutschland zu sein. „Meine Heimat ist vom Krieg zerstört, Schulen und Straßen werden bombardiert. Mein größer Wunsch ist, dass wir hier bleiben können.“ Noch ist die Familie „geduldet“, darf also bleiben – zumindest vorübergehend.

Ungewisse Zukunft

Eine ungewisse Zukunft droht auch abgelehnten Asylbewerbern, die wegen der so genannten Dublin-Regelung in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen, wo sie ein ungerechtes oder gar menschenunwürdiges Verfahren erwartet. Zunehmend ist in solchen Fällen auch in Erlangen die Kirche ein letzter Rettungsanker. „Die Bereitschaft, einem Flüchtling in Gotteshäusern Asyl zu gewähren, wächst in den Gemeinden immer mehr“, erläuterte Matthias Wünsche, Pfarrer der Herz-Jesu-Kirche. Die oft wochen-, ja monatelange Rundum-Betreuung des Schützlings erfordere beim Kirchenasyl aber eine strenge Logistik und einen großen Helferkreis: „Der Wille ist da und auch der lange Atem, und manchmal“, sagte der Theologe, „haben wir auch Erfolg.“

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