Erlangen: Flüchtlingsunterkunft völlig "ausgebucht"

27.10.2014, 19:00 Uhr
An der Essensausgabe im großen Gemeinschaftssaal im ersten Stock werden die rund 300 Mahlzeiten zügig ausgeteilt. Zubereitet werden sie weiterhin vom Studentenwerk der Universität.

© Athina Tsimplostefanaki An der Essensausgabe im großen Gemeinschaftssaal im ersten Stock werden die rund 300 Mahlzeiten zügig ausgeteilt. Zubereitet werden sie weiterhin vom Studentenwerk der Universität.

Die Menschen, die die Busse aus Nürnberg und Schwabach bringen, sind diesmal andere als in der Zeltstadt am Freibad West. Waren dort viele Familien mit Kindern und ältere Personen gestrandet, sind es diesmal fast durchgehend junge Männer – meist aus Syrien, dem Irak und den Grenzgebieten zum kurdischen Siedlungsgebiet.

Welcher Nationalität und welchem Glauben sich die jungen Männer zugehörig fühlen, lässt sich bei einem ersten Kontakt schlecht feststellen – feststellen lässt sich aber sehr wohl, dass die persönlichen Erlebnisse und weltpolitischen Ereignisse keineswegs aufgearbeitet sind. Am Boden kauert eine Gruppe junger Männer mit etwas verwegenen Frisuren, die sich auf einem Smartphone offenbar aktuelle Bilder vom Kampf um die von Islamisten bedrohte Grenzstadt Kobane anschauen und dabei aufgeregt diskutiert. Für sie, die nicht selten und erst unlängst in solch bedrohliche Situationen geraten sind, ist das Live-Erlebnis offensichtlich ziemlich aufwühlend.

Wenig Gepäck

Andre junge Männer verlassen die Busse und schleppen hastig zusammengepackte Koffer, meist jedoch nur blaue und stabile Plastik(müll)säcke mit ihren wenigen Habseligkeit die schmale Treppe in den ersten Stock des Möbellagers hinauf – aber erst, nachdem sie sich einer Eingangsprozedur unterzogen haben. Diese besteht im wesentlichen aus einem medizinischen Check, der verhindern soll, dass Personen mit ansteckenden Krankheiten in die Sammelunterkunft kommen und dort andere anstecken.

Im Erdgeschoss, in einem ehemaligen Büro des Möbellagers, hat Heike Schmidt vom Arbeiter-SamariterBund (ASB) ihren Arbeitsplatz in der „Registratur“. Sie misst mit einem Distanz-Thermometer eventuell fiebernde Ankommende, ein Arzt schaut sich bei kritischen Befunden die jungen Männer etwas genauer an. Zum Gesundheits-Check gehören eine Sichtung auf eventuelle Hautausschläge, später wird eine Stuhlprobe genommen, ab der Wochenmitte gibt es auch eine Röntgendiagnose, um die immer noch nicht ausgerottete Tuberkulose erkennen zu können. Der Arzt Markus Beier kennt – auch aus den „Diensten“ im Freibad West – die ganze Palette von Befunden. „Da gibt es Kriegs- und Folterverletzungen wie ganz normale Krankheiten wie Husten und Schnupfen – nicht selten auch Durchfallerkrankungen.“ Zudem werde ein zahnmedizinischer Dienst angeboten – eine medizinische Rundumversorgung, die so erfolgreich funktioniert(e), dass sie jetzt auch von den anderen Städten im Großraum angeboten wird.

Benjamin Fricke, leitender Mitarbeiter des Erlanger Sicherheits-Services, hat zusammen mit bis zu zehn seiner Mitarbeiter die Sicherung des Hauses vor unerwünschten Eindringlingen übernommen. „Die Flüchtlinge können sich innerhalb und außerhalb des Hauses und des abgesperrten Bereichs völlig frei bewegen“, sagt er, „sie können auch jederzeit in die Stadt.“ Dass keine unerwünschte „Besucher“ das Lager betreten können, stellt eine Pforte sicher, die die mit einem provisorischen Lichtbildausweis ausgestatteten Flüchtlinge passieren müssen. Die Erfahrungen vom Freibad West waren „überwiegend positiv“ – über den begrenzten „Aufstand“ syrischer Flüchtlinge, die sich über das schleppende Registrierungsverfahren durch das Zirndorfer Bundesamt beklagt hatten, hatten die EN berichtet.

Natürlich sei, so räumt Fricke ein, bei einer so großen Gruppe junger Männer mit unterschiedlichsten Gewalterfahrungen auch immer mal mit einem Emotionsausbruch zu rechnen – „aber damit können wir gut umgehen“, wie er überzeugt ist. Beim Erstbezug am Montag, der sich über mindestens drei Bus-Kontingente hinzog, war die Stimmung eher gelöst. Während draußen ein ungemütlich kalter Wind um das wenig einladende Industriegebäude strich, hatte eine mobile Zusatzheizung die beiden Hallen im ersten und im zweiten Stock angenehm warm gemacht. Die (auch menschliche) Wärme tut den Flüchtlingen erkennbar gut.

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