Erlangen: Große Liebe zur kleinen Bahn

8.12.2018, 18:30 Uhr
Erlangen: Große Liebe zur kleinen Bahn

© Harald Sippel

Einmal im Jahr, an Weihnachten, sollte die Anlage im Keller meines Elternhauses betriebsbereit sein — das war der Plan. Eine riesige Holzplatte als Grundgerüst des Unterfangens war schnell organisiert. Mein Vater kaufte sie bei einem befreundeten Schreiner günstig ein.

Anschließend folgte die Planungsphase: Wo genau und wie sollen die Gleise verlaufen, an welcher Stelle müssen sich Weichen und Signale befinden? Welches ist der beste Platz für die Bahnhöfe? Wir planten Tunnels und Brücken, Straßen und Dörfer und legten fest, wo Büsche und Bäume gepflanzt werden sollten.

Mit der Bauphase wurde es dann richtig spannend. Irgendwann hing ein schier undurchdringliches Dickicht bunter Kabel unter der aufgebockten Holzplatte. Kabel, die Weichen und Signale mit Strom versorgen und die Modellhäuschen zum Leuchten bringen sollten. Aus dem Wirrwarr entstand schließlich ein stattlicher Kabelbaum, der zur "Steuerzentrale" führte.

Dort waren, auf einem eigenen Brett, unzählige blaue Kästchen mit roten Druckknöpfen befestigt. Jedes einzelne beschriftete mein Vater akkurat. So konnten wir jederzeit sicher sein, die richtige Weiche und das richtige Signal zu schalten.

Erlangen: Große Liebe zur kleinen Bahn

© Harald Sippel

Als Kind lernte ich so alles, was für eine spätere Heimwerkerkarriere wichtig ist: Bohren, sägen, hämmern, gipsen und löten. Der Lötkolben hatte, so meine Erinnerung, allerdings das Ausmaß eines Baseballschlägers. Regeln ließ sich das Werkzeug nicht. Einmal an den Strom angesteckt, gab es nur einen Zustand, den ich manchmal schmerzhaft zu spüren bekam: heiß.

Zeitsprung ins Jahr 2018: In einem Raum in der Michael-Vogel-Straße lagern in einem Regal alle nur denkbaren Baumaterialien für Modellbahnanlagen. Dazu Bausätze für Modellhäuschen und halbfertige und fertige Bäume im Miniaturmaßstab. Ganz oben auf dem Gestell thronen detailreich gestaltete Landschaften, in denen Industrieanlagen oder Burgruinen die Szenerie beherrschen. Alles hat seinen Platz beim Modelleisenbahnclub Siemens Erlangen.

Erlangen: Große Liebe zur kleinen Bahn

© Harald Sippel

Vor dem Regal fahren auf einer Teststrecke Züge hin und her, inklusive realistischer Sound- und Lichteffekte – die Digitaltechnologie hat längst auch die Modellbahnen erobert. Das Zuschlagen von Wagontüren lässt sich dabei genauso lebensecht nachstellen, wie das langsame Anfahren von Loks.

In der Mitte des Raums sind mehrere Tische zusammengeschoben: Der Mensch braucht schließlich ausreichend Bastelfläche. An weiteren Arbeitsplätzen werden konzentriert elektronische Schaltungen gelötet.

Prachtstück ist aber eine Modellbahnanlage, bei der sich zuerst einmal der Blick in deren Bauch lohnt. Denn unterhalb der Trägerplatte befindet sich ein mehrstöckiger, sogenannter Schattenbahnhof. Dort sind, für den Betrachter nicht sichtbar, auf unterschiedlichen Ebenen mit mehreren Abstellgleisen ganze Zuggespanne "geparkt". Wenn die Anlage läuft, tauchen sie an der Oberfläche wie aus dem Nichts auf und düsen auf der Nebenbahn weiter. Oder auf der Neubaustrecke, die an ihrem schnurgeraden Lauf zu erkennen ist.

Seit 18 Jahren werkeln die Erlanger Modellbahner an der Anlage, erzählt der Clubvorsitzende Kurt Schäfers. Inspirieren lassen sich die Modellbauer dabei von der Landschaft rund um Erlangen.

Es gibt etwa einen Biergarten und einen "Bahnhof Gräfenberg", und in Anlehnung an das dortige Schotterwerk auch eine entsprechende Verladestation im Maßstab 1:87. Auch die Modellfelsen erinnern an das Kalk- und Dolomitgestein des Weißen Jura, für das die Fränkische Schweiz bekannt ist. Und doch klaffen hier und da noch deutliche Lücken im Miniaturgelände.

Es ist also noch viel zu tun? "Ja", sagt Kurt Schäfers ziemlich gelassen, "aber für Modelleisenbahner ist der Weg das Ziel." Wie genau das Ziel aussieht, zeigt ein detailliertes Modell von der Anlage. Darauf arbeiten Schäfers und seine Verbündeten hin. Ja, es ist noch viel zu tun.

1973 gegründet, pflegten die Clubmitglieder ihr Hobby zunächst in einem Gebäude in der Koldestraße. Dort bauten sie in fast dreißigjähriger Arbeit eine rund 35 Quadratmeter große Vereinsanlage in Spur H0 auf. Ende der 1990er Jahre mussten sie ihr Domizil allerdings wegen einer Eigenbedarfskündigung räumen. Die Anlage wurde demontiert und Teile davon eingelagert.

Im Jahr 2000 bezog der Club schließlich neue Räumlichkeiten in der Michael-Vogel-Straße und startete noch einmal durch. Dass man quasi von vorne anfangen musste, schmerzte so richtig niemand, erinnert sich Kurt Schäfers. Der Weg ist das Ziel.

Die Leidenschaft für die Spielzeugeisenbahn ist Kurt Schäfers in die Wiege gelegt: Sein Vater war Lokführer. Und tatsächlich hatten es zunächst auch die großen Loks dem kleinen Kurt angetan. So richtig geschehen war es um ihn aber, als er das erste Mal mit der Modelleisenbahn eines Schulfreundes spielen durfte. "Da war‘s aus mit mir", erinnert sich Schäfers.

Erlangen: Große Liebe zur kleinen Bahn

Solche "Karrieren" sind heute selten. Seit Jahren vergreist das Hobby. Das weiß auch Kurt Schäfers: "Unser Nachwuchs sind die Männer, die, kaum im Ruhestand, von ihren Frauen aufgefordert werden, sich ein Hobby zu suchen." Frauen gibt es unter den 20 Mitgliedern des Modelleisenbahnclubs Erlangen nicht.

In einen Abgesang auf das Hobby Modelleisenbahn will Daniel Beckmann aber nicht einstimmen. Zwar spricht auch der 37-Jährige, der zum harten Kern der Erlanger Modelleisenbahner gehört, von einem "rückläufigen Hobby". Doch er rechnet mit einer "Stabilisierung". Dass der Traditionshersteller Märklin aktuell einen Auftragsboom erlebt, scheint seine These zu stützen. Trotzdem warnt Beckmann: "Die Konkurrenz sind nicht die anderen Modellbahnhersteller, sondern die Computerspielanbieter."

Bits und Bytes gegen die Magie der Modelleisenbahn? Nicht immer. Was zählt, ist etwas Existenzielleres. Echte Jungs kennen diese speziellen wohlig-heimeligen Momente unterm Weihnachtsbaum: Wenn die Loks und Wagen an Heiligabend surrend, blinkend und dampfend ihre Runden drehen. Und sich Vater und Sohn glückselig tief in die Augen schauen. Dann, und nur dann, ist Weihnachten.

MARKUS HÖRATH

www.modellbahnclub-siemens-erlangen.info

 

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