Erlangen: IHK seit 175 Jahren Sprachrohr der Wirtschaft

18.11.2018, 17:38 Uhr
Erlangen: IHK seit 175 Jahren Sprachrohr der Wirtschaft

© Greiner

Die Gründung war folgerichtig – angesichts des wachsenden Handels und der verbesserten Transportmöglichkeiten durch das schnell wachsende Eisenbahnnetz, aber auch des technischen Fortschritts mit dem folgenden Aufschwung der Industrie. Erlangen erhielt in der ersten Vollversammlung drei der 18 Sitze, die Hälfte stellte Nürnberg.

1854 bildete sich ein Gewerbe- und Handelsrat in Erlangen mit 14-köpfiger Besetzung. Aus dem Jahresbericht der Handelskammer Nürnberg 1874 gehen – so der Historiker Hans-Diether Dörfler – die damaligen wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Stadt hervor: 19 Brauereien exportierten 200 000 Hektoliter Bier, 54 Unternehmen stellten bis zu 1,5 Millionen Kämme jeweils pro Jahr her, die Firma Bücking, erster Nutzer einer Dampfmaschine, war führender Hersteller von Elfenbeinkämmen in Europa, die Folien- und Spiegelglasfabrikation auf den Werkern hatte überregionale Bedeutung, es gab zehn Betriebe als Hersteller von Pinseln und Bürsten, darunter der Fabrikant Emil Kränzlein mit 400 Beschäftigten.

Ab 1877 bauten Reiniger, Gebbert und Schall die Keimzelle der medizintechnischen Industrie auf. Und in Herzogenaurach, das 1873 ein eigenes Gremium erhielt, fertigten im "fränkischen Pirmasens" bis zu 25 Unternehmen vorwiegend Filz- und Hausschuhe, Urzellen der beiden Weltfirmen Adidas und Puma. Auch Bubenreuth und Baiersdorf entwickelten Wirtschaftsstärke.

Ein neuer Boom entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Heimatvertriebenen vornehmlich aus dem Sudetenland dafür sorgten, dass Erlangen innerhalb kürzester Zeit von 40 000 auf 50 000 Einwohner wuchs und Herzogenaurach um ein Drittel an Bevölkerung zunahm. Das führte in Erlangen sogar zu einem "Zuzugsverbot wegen Überbelegung".

Dörfler: "Wie heute die Frage der Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften war damals die gesellschaftliche und wirtschaftliche Integration eine Frage von hoher Brisanz und starken Widerständen." In dieser Zeit halfen die schon 1945 hauptamtlich besetzten IHK-Büros zusammen mit den ehrenamtlichen Kräften entscheidend mit, die Industrialisierung in die richtigen Bahnen zu lenken – wobei sie "mit Weitsicht auch gegen die kaum verhüllte Ablehnung der Erlanger gegen die Neubürger kämpften". Hier wie in Herzogenaurach und Bubenreuth erwies sich die Integration der Flüchtlinge als lang anhaltender wirtschaftlicher Erfolg.

Die IHK Nürnberg für Mittelfranken ist ein Selbstverwaltungsorgan geblieben – mit 9000 Unternehmern und Führungskräften der Betriebe, die in Gremien, Fach- und Prüfungsausschüssen an Stelle des Staates hoheitliche Entscheidungen treffen, z. B. Prüfungen der beruflichen Ausbildung, das Sachverständigenwesen oder die Ausstellung von Ursprungszeugnissen.

Die IHK engagiert sich in der Dualen Ausbildung sowie in der Fachkräftesicherung und sieht die Standortpolitik und die Unternehmensförderung als zentrale Aufgaben. Auf allen Ebenen wird mit der Politik um eine wirtschaftsfreundliche Verkehrsinfrastruktur, ausreichende Gewerbeflächen und schnelle Genehmigungsverfahren gerungen. 145 000 Unternehmen in Mittelfranken – laut IHK-Hauptgeschäftsführer Markus Lötzsch einer der reichsten Regionen Europas auf Platz 5 – sind per Gesetz IHK-Mitglieder und wählen mit je einer Stimme, unabhängig von der Firmengröße, die Mitglieder der Vollversammlung bzw. der einzelnen Gremien.

Getreu ihrer Aufgaben versäumten es die beiden Gremiumsvorsitzenden in der Veranstaltung auch nicht, die Politik in die Pflicht zu nehmen. Patrick Siegler (Erlangen) meinte, man solle keine Zeit verlieren bei der Gestaltung der Regnitzstadt zum attraktiven Eingangstor zur Innenstadt, mit guter Erreichbarkeit und attraktiven Alternativen statt Verboten.

Studien prognostizierten einen Rückgang des stationären Handels um 50 Prozent innerhalb von zehn Jahren – eine Entwicklung, die nicht weiter beschleunigt werden dürfe. Ansässige erfolgreiche Unternehmen müssten sich optimieren können statt abzuwandern. Es gebe aber keine neuen Gewerbeflächen.

Die Folgen: Ausfälle bei der Gewerbesteuer und Attraktivitätsverlust des Standorts. Sein Kollege Oliver Brehm (Herzogenaurach) mahnte den Ausbau des Breitbandnetzes und Lösungen bei der Verkehrserschließung an.

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