Erlangen: Letzte Geschichts-Reise mit Pinnadeln

2.9.2014, 11:00 Uhr
Erlangen: Letzte Geschichts-Reise mit Pinnadeln

© Dieter Köchel

Sonntag 15 Uhr, es gießt in Strömen; trotzdem finden sich 35 Neugierige ein, die anhand der Pinnadeln markante Punkte der Erlanger Geschichte entdecken wollen. Angeführt wird die Parade der Regenschirme von Stadtführerin Claudia Koolman. Ebenso charmant wie sachlich schildert sie die Entstehung der Pinnadeln in Erlangen. Viele Entwürfe aus der Kaderschmiede der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste haben weiland dem Erlanger Stadtrat vorgelegen, unter anderem ein mobiles Weizenfeld, das im Lauf des Jahres seinen Standort in der Stadt verändern sollte.

Die Wahl ist damals jedoch auf Isi Kunaths Pinnadeln gefallen, wie sie laut Koolman selbst gesagt hat, weil ihr Entwurf pragmatisch sei und sie sowohl den Kostenvoranschlag wie einen Sponsor gleich mitgeliefert hat. Natürlich hat ihre Idee mit den Pinnadeln auch gefallen gefunden, wenn auch nicht bei allen. Vor allem aber spielte seinerzeit eine Rolle, dass die Firma Rehau ein Gutteil der Kosten von 100 000 Euro übernahm, die die Pinnadeln kosteten. Sie bestehen übrigens aus Stahlrohren und sind mit Kunststoff ummantelt. Davor sind auf Hartkeramikplatten Fotos ehemaliger Bauwerke samt kurzem Erläuterungstext.

Vor allem auf die jüngere Geschichte verweisen die fünf Meter hohen Stecknadeln mit den roten Köpfen, so gleich die ersten beiden auf dem Rathausplatz und dem Beþiktaþ-Platz, die auf die Entwicklung Erlangens nach dem Zweiten Weltkrieg aufmerksam machen, auf die rasante Entwicklung, die zur allmählichen Ausdehnung und dann Verlagerung des Stadtzentrums in südliche Richtung geführt hat. Ob die 70er-Jahre-Bauten wohl je Denkmalstatus erhalten? Sind sie’s wert? Schwierige, aber bedenkenswerte Fragen, die sich bei der Stadtführung auftun.

Diese Frage stellt sich schon nicht mehr beim Nürnberger Tor, das als letztes Stadttor nach dem Krieg fiel, als ein amerikanischer Panzer daran hängen blieb. Alle anderen Stadttore sind schon lange vorher als „Verkehrshindernisse“ beseitigt worden, erzählt Claudia Koolman. Ein Verkehrshindernis war letztlich auch die alte Ritterakademie, einst beherbergte sie die Universität Erlangen. Geopfert wurde der Bau für die Errichtung des Kaufhofs, der selbst bereits einige Jahre Geschichte ist.

Die Pinnadeln markieren Punkte, an denen in der Erlanger Historie bedeutsame Bauwerke standen; sie berichten von Ereignissen und Menschen wie Jakob Hertz, dem ersten Juden, der in Bayern ordentlicher Professor geworden ist, dem die Bürger der Stadt wegen seiner sozialen Großherzigkeit ein Denkmal errichtet haben, das Bürger der Stadt in nationalsozialistischer Verblendung wieder zerstört haben.

Die Pinnadeln haben den Erlangern und den Besuchern der Stadt in den vergangenen zwölf Jahren als Gedächtnisstütze in die Vergangenheit gedient. Ungläubiges Kopfschütteln begleitet daher die Mitteilung Koolmans, dass damit im Herbst Schluss ist. Das hat der Kulturausschuss des Stadtrates auf Anraten der Kunstkommission und mit Zustimmung der Künstlerin beschlossen. Denn, alles hat seine Zeit, dann verschwindet es, manchmal verständlich, bisweilen auf unerklärliche Weise. Gerade jetzt, da die Pinnadeln dem Stadtbild angewachsen sind, werden sie enfernt. Panta rhei (alles fließt), wusste schon der griechische Philosoph Heraklit.

Keine Kommentare