Erlangen: Mit 79 zwölf Tage lang am Bratwurststand

25.5.2018, 18:00 Uhr
Seniorchef Heinz Müller ist eine Institution der Erlanger Bergkirchweih.

© Harald Sippel Seniorchef Heinz Müller ist eine Institution der Erlanger Bergkirchweih.

"Früher, wo alles noch nicht so groß war, war immer schon der Erich-Keller das Zentrum der Bergkirchweih", sagt Heinz Müller. Damals hat seine Urgroßmutter oben auf dem Erich-Keller Bratwürste gebraten. Das Areal der Bergkirchweih war zu jener Zeit komplett auf den Kellern. Von seinem Bratwurst-Stand aus deutet Heinz Müller hinüber. "Dort, oberhalb des Kellerhäuschens, hat sie zwischen zwei Steinen Feuer gemacht und Pfannen daraufgestellt", erklärt er. Dann schlägt er den Bogen von damals zu heute: "Wir legen großen Wert darauf, dass bei uns die Bratwürste gebraten werden, nicht gegrillt." Gebraten in Schweinefett in einer Pfanne seien sie viel saftiger und schmackhafter. "A Bratwurst ist ka verbrennte Grillwurst", sagt er auf gut Fränkisch.

Die Großmutter von Heinz Müller hatte dann schon einen richtigen Bratwurststand. Der "wanderte" vom Keller herunter, 1907 war das. Sie grillte die Würste neben dem Türmchen des Erich-Kellers. Außerhalb der Kirchweihzeit hatte die Großmutter einen Obststand auf dem Hugenottenplatz. Sie lebte in der Altstadt, so wie Heinz Müller und seine Familie heute noch. "Ich bin ein geborener Altstädter", sagt er, und da schwingt Stolz mit.

Um über sich selbst zu erzählen, muss Heinz Müller aber erst einmal die Geschichte der Altstadt Revue passieren lassen: "Die Altstädter Kommune hat damals die Bergkirchweih ausgerichtet. Ihr gehörte auch das Gelände, außerdem hatte sie weiteren Wald- und Grundbesitz und verwaltete sich selbst. Sie war sozusagen eine Stadt innerhalb der Stadt Erlangen. Nach einem jahrzehntelangen Rechtsstreit wurde die Kommune aufgelöst. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Bergkirchweihgelände ins Vermögen der Stadt Erlangen überführt."

Dass all dies zusammengehört, die Altstadt, die Bergkirchweih und auch die Familie Müller, das wird in diesem Gespräch mit dem Seniorchef des Bratwurststands schnell deutlich. "Unsere Familie fühlt sich mit der Bergkirchweih verbunden", sagt er. Und umgekehrt, da ist er sich sicher, "gehören wir für die Leute dazu zum Berg".

79 Jahre alt ist Heinz Müller, und für ihn ist klar, dass er während der Bergkirchweih zwölf Tage lang an seinem Stand ist. Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. "Um so was zu betreiben, muss man ein Herz haben für die Erlanger Bergkirchweih", meint er. "Wir leben ein Stück weit mit der und für die Bergkirchweih. Sie ist in der Familie derart verankert, dass es einfach gar nicht anders sein kann." Die gesamte Familie ist voll dabei, neben dem Stand betreibt sie inzwischen auch die Bergstation am Weller-Keller. Den größten Stress habe man vorher, sagt Heinz Müller. "Wenn die Kerwa losgeht, dann marschiert sie unaufhaltsam durch."

Und dann ist auch noch Zeit für ein paar "Gschichdli", von denen es so viele gibt. Dann lebt eine Bergkirchweih auf, die man sich heute nur noch schwer vorstellen kann. "Wir hatten Öfen, die mit Holz befeuert worden sind", erzählt er. "Wenn der Müller angeschürt hat und der Rauch aufgestiegen ist, dann haben die Leute gesagt, jetzt gibt es die Bratwürste." Als später Propangas eingeführt wurde, gab es Leute, die protestierten, weil dies keine Tradition mehr sei. Die Schattenseiten der Holzbefeuerung — wabernde Rauchschwaden unter dem Laub der Bäume — schlugen offenbar weniger zu Buche.

Früher brachten sich die Kirchweihbesucher Rettiche aus ihren Gärten mit. "Die Männer haben ihren ganzen Stolz aufgebracht, mit einem Messer den Rettich hauchdünn aufzuschneiden", erinnert sich Heinz Müller. "Sie haben das zelebriert und eine halbe Stunde dafür gebraucht. Als ich ihnen anbot: Soll ich Ihnen Ihren Rettich aufschneiden?, haben sie das entrüstet abgewiesen."

An Sonn- und Feiertagen sei man mit eleganten Sonntagskleidern auf die Kerwa gegangen. An diesen Tagen spielten Militärkapellen Konzertmusiken wie bei einem Kurkonzert. Die Musikstücke wurden in der Zeitung veröffentlicht, "Die Post im Walde" zum Beispiel, und auch Operettenmelodien wurden gespielt. "Das hat noch Stil gehabt, das war ein gesellschaftliches Ereignis, ein solcher Frühschoppen auf dem Erich-Keller."

"Und wenn sich der Staatsdirigent verabschiedet hat, dann ist Willi Stempel aus Bubenreuth ’rauf auf die Bühne und hat Schunkellieder gespielt. Dann hat der ganze Berg geschunkelt und alle Leute haben mitgesungen." Ein Konzept so wie heute habe es damals — vor rund 40 Jahren — nicht gegeben, die Dinge hätten ohne Konzept funktioniert. Wenn auf einer Bühne die Musiker aufhörten zu spielen, fingen die anderen an. "Die Maß kostete, na, sagen wir mal 2 Mark. Sobald die Musik spielte, kostete sie dann 2,20 Mark. Wenn die Pausen zu lang wurden, haben die Leute gesagt, horcht mal, wir haben fei für die Musik bezahlt, es wird Zeit, dass ihr wieder spielt."

In den eher "mageren" 50er Jahren war das herausgebratene Bratwurstfett sehr begehrt. "Die Leute haben Gefäße bei uns abgegeben und später vollgefüllt mit Fett wieder abgeholt." Vor ein paar Jahren, so erzählt Heinz Müller, sei eine Familie gekommen und habe gefragt, ob sie ein Gefäß bringen dürfe. Die 90-jährige Mutter könne das Haus nicht mehr verlassen. "Ich hätte so gern noch einmal ein Bratwurstfettbrot von der Bergkerwa", soll sie gesagt haben. Wenn er das erzählt, kann Heinz Müller die Rührung nicht verbergen.

Den Geschmack von früher — man vergisst ihn nicht. Und auch nicht den Berg.

 

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