Erlangen: Seit 36 Jahren am gleichen Tisch auf dem Berg

27.5.2015, 13:31 Uhr
Erlangen: Seit 36 Jahren am gleichen Tisch auf dem Berg

Also gut. Raus aus den Federn, rein in die Klamotten, rauf aufs Fahrrad und auf geht’s zum Berg. Und das alles am Sonntagmorgen, zu unheiliger Zeit, während andere noch im Bett süß vor sich hin schlummern. Doch dieses Jahr wollen wir es wissen, wir wollen dabei sein, wenn der Berg erwacht. Ach was, wir wollen die ersten sein am Berg – zumindest die ersten Gäste. Um kurz vor acht Uhr machen wir uns an den Berganstieg.

Viele Bettflüchter

Da sind wir allerdings der Illusion schon beraubt, dass wir hier einen Frühaufsteher-Rekord aufstellen werden. Denn entlang der Hauptstraße streben bereits Paare mit Körben, größere und kleinere Gruppen bepackt mit Taschen und Rucksäcken in Richtung Norden – dorthin, wohin es später noch viel mehr Menschen ziehen wird. Die ersten Besucher sind wir längst nicht mehr. Der Berg hat seine eigenen Gesetze. Und am Pfingstsonntag sind offenbar die Bettflüchter unterwegs.

So wie die Mädels des SV Hetzles. Erkennbar sind sie an ihren schwarzen T-Shirts, deren Aufschrift verkündet, dass sie in der Saison 2014/15 Meister in der Kreisklasse beim Damenfußball sind. Am Pfingstsonntag auf den Berg in Erlangen zu gehen, hat Tradition bei ihnen. Seit letztem Jahr nehmen sie den Bus um sieben Uhr. „Davor waren wir immer um neun Uhr da“, sagt Carina Ebenhack. „Aber dann wurde es immer krasser mit den Plätzen, jetzt kommen wir eben schon kurz vor Acht.“

Erlangen: Seit 36 Jahren am gleichen Tisch auf dem Berg

© Harald Sippel

Tradition hat auch, dass sie sich an Tischen im Erich-Keller niederlassen, ganz in der Nähe der „Bommi“-Bude. „Da wurden schon Verträge geschlossen und Spielerinnen akkreditiert“, witzeln sie. Für die gute Stimmung brauchen sie eigentlich nichts Hochprozentiges, die ist auch am helllichten Morgen schon ausgelassen. Ihre „Brotzeit de luxe“ haben sie selbstverständlich mitgebracht. Pfefferbeißer, gekochte Eier, Radieschen, Tomaten, Gurken, Obatzten.

Da befinden sie sich in bester Gesellschaft. Fast jeder packt an diesem Morgen eine Brotzeit aus – und so mancher hat zu früher Stunde mit bunten Geschirrtüchern oder gar Tischdecken Plätze für sich und seine Familie oder Freunde in Beschlag genommen. Ähnlich wie mit dem Auslegen von Badetüchern am Hotelpool werden hier Claims abgesteckt – doch den Unwillen seiner Mitmenschen zieht sich keiner zu, Gelassenheit ist angesagt.

Selbst mitgebrachte Brotzeiten stehen am Pfingstsonntag früh auf dem Speiseplan vieler Bergbesucher.

Selbst mitgebrachte Brotzeiten stehen am Pfingstsonntag früh auf dem Speiseplan vieler Bergbesucher. © Harald Sippel

Hartgekochte Eier, Brot, Camembert, Bergkäse, Radieschen, Senf, Bratwurstgehäck im Glas, Pfeffer-Salz-Gemisch im Streubehälter holt Heinrich Haas aus der Kühltasche heraus. Seit 30 Jahren geht der Büchenbacher am Pfingstsonntag auf den Berg, trifft sich mit einer Runde von Freunden am Entla’s-Keller. „Das ist Kulturgut geworden“, meint er. „Gegen 18 Uhr werden wir wahrscheinlich wieder den Heimweg antreten.“ Die Frauen, gesteht er, werden um zehn Uhr nachkommen, er selbst und ein paar Freunde sind schon vorher da. Vor wenigen Tagen hat der Rentner mit seiner Frau „40 Jahre Berg gefeiert“. Ihr ganz persönliches Jubiläum, denn hier haben sie sich damals kennengelernt. Der Pfingstsonntag ist dagegen in anderer Hinsicht etwas besonderes. „Ein Mal im Jahr treffe ich hier am Berg Leute, die ich das ganze Jahr nicht sehe“, sagt Haas. Der Berg — eine verlässliche Adresse für „Zufallstreffen“.

Dem Zufall überlässt ein anderer Berggänger lieber nichts – jedenfalls, was seinen Sitzplatz angeht. Reiner Roß ist morgens der erste Besucher am Berg. Und er sitzt mit seiner Familie immer am gleichen Tisch. „Die letzten 36 Jahre hat es geklappt“, sagt er. Doch das Ganze geht noch viel weiter zurück, denn auch seine Eltern und Großeltern hatten ihren „Stammplatz“ bereits an der gleichen Stelle. „Sehen Sie den Nagel da in dem Baum“, sagt der 52-Jährige. „Den hat meine Mutter in den Stamm geschlagen, als ich noch ein kleiner Bub war, weil sie endlich etwas haben wollte, wo sie unsere Sachen aufhängen konnte.“ Als der Vater damals seine erste Maß ausgetrunken habe, habe die Mutter den Nagel mit dem leeren Krug ins Holz hineingetrieben. „Ich hab mit großen Augen geschaut, was sie da macht.“

Keinen Tag versäumt

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Seit 1979 hat Reiner Roß keinen einzigen Bergtag versäumt. Auch Regen schreckt ihn nicht ab. Der Ochse am Spieß am Entla’s-Keller heißt am diesjährigen Pfingstsonntag Reiner wie er. Der Ochsen-Hans hat um 6.30 Uhr das Feuer angemacht, seitdem dreht sich der Spieß. „In der Frühe ist es gemütlich hier“, sagt der Ochen-Hans. „Heimat ist so was. Verbundenheit.“ Davor, dass die vielen mitgebrachten Brotzeiten dem Geschäft schaden könnten, hat er keine Angst. „Die Leute gehen ja nicht nach der Brotzeit heim“, sagt er. „Als Hauptgericht gibt es dann Ochs vom Spieß mit Kloß.“

Die Bedienungen am Entla’s-Keller haben sich mit einem Müsli und mit Kaffee gestärkt für den langen Tag. „Mental lieg’ i no im Bett“, sagt ein Kellner, der um zehn Uhr die ersten Maßen heranschleppt. Da haben viele Besucher bereits eine ausgiebige Brotzeit hinter sich und viele Helfer jede Menge Arbeit. Der Berg brummt – bis in die Nacht.

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