Erlangen: Soziale Spaltung gefährdet die Gesellschaft

1.5.2016, 06:00 Uhr
Erlangen: Soziale Spaltung gefährdet die Gesellschaft

© dpa

Trotz eines langen Erwerbslebens droht vielen Rentnern Altersarmut. Wie soll die Rente der Zukunft aussehen? Was bedeutet „Solidarität zwischen Jung und Alt“?

Wolfgang Niclas: Falsche Rentenreformen und die gezielte Förderung des Niedriglohnsektors haben bereits heute zu Rentenarmut bei immer mehr Menschen geführt, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Entweder wir entwickeln unser Rentensystem so weiter, dass Renten auf Basis der Lebensleistung und der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft finanziert werden oder wir spalten die Gesellschaft weiter mit allen unsozialen Folgen. Ein richtungsgebendes Modell liegt mit der Bürgerversicherung vor. Der Generationenvertrag zwischen Jung und Alt kann durch kein privates Versicherungsprinzip ersetzt werden.

Die Polarisierung in der Gesellschaft wächst. Flüchtlinge werden gegen Einheimische ausgespielt. Rechtspopulisten schüren Ressentiments und Hass gegen Migranten. Wie reagieren Sie darauf?

Wolfgang Niclas: Die Erlanger Bürgerbewegung „Menschenwürde=unantastbar“ und die klare Haltung der Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft haben gezeigt, dass die Probleme lösbar sind und die Chancen der Zuwanderung genutzt werden können. Eine transparente Willkommenskultur, wie wir sie in Erlangen erleben dürfen, in der auch die Schwierigkeiten nicht verschwiegen werden, ist die Voraussetzung für ein breites bürgerschaftliches Engagement. In diesem Umfeld findet der rechtsnationale Populismus keine Angstkultur und damit keinen Zulauf. Das ist in Erlangen etwas leichter, weil die soziale Polarisierung noch nicht so massiv die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, wie das in anderen Städten der Fall ist. Der Sozialbericht der Stadt hat aber eine Vertiefung der sozialen Spaltung auch in Erlangen aufgezeigt, es besteht also Handlungsbedarf. Eines muss uns klar sein: Wer die soziale Spaltung zulässt oder gar fördert, gefährdet die demokratische Kultur unserer Gesellschaft.

Erlangen: Soziale Spaltung gefährdet die Gesellschaft

© Bernd Böhner

Rechtspopulisten erhalten bei Wahlen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern wachsende Zustimmung. Sehen Sie die Demokratie in Gefahr?

Wolfgang Niclas: Die Angst vor einem sozialen Abstieg hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. Hartz IV, Rentenarmut und Niedriglohnsektor sind glücklicherweise noch keine Realität für die Mehrheit der Gesellschaft. Der Abstieg aus einer gesicherten Arbeits- und Lebenssituation in eine soziale Notlage ist aber für immer mehr Menschen ein immer kleiner werdender Schritt. Das verunsichert, macht Angst und ist das ideale Kampffeld für Populisten und Demagogen. Wir müssen soziale Sicherheit für alle wieder in das Zentrum unserer gesellschaftlichen Anstrengungen stellen, wir müssen den Dialog mit verunsicherten Gruppen führen, und wir müssen klare Kante gegen jede Form von Demagogie, Intoleranz und Hass zeigen. Wenn wir unser wirtschaftliches und politisches Handeln stärker an diesen Grundsätzen ausrichten, sehe ich unsere Demokratie nicht in Gefahr.

Die Furcht vor sozialem Abstieg und das Gefühl mit Flüchtlingen um knappe Ressourcen kämpfen zu müssen, führt bei etlichen Menschen zur Ablehnung von Flüchtlingen. Wie kann man darauf adäquat reagieren?

Wolfgang Niclas: Solidarität ist international. Der menschliche Umgang miteinander beschränkt sich nicht auf die Familie, das eigene Viertel, die Stadt oder das Land. Menschen in Not muss geholfen werden! Ob sie alt sind, arbeitslos, körperliche oder psychische Probleme haben oder vor einer unmenschlichen Situation fliehen müssen, Anspruch auf eine menschenwürdige Existenz hat Jeder. Wir haben die wunderbar große Bereitschaft entsprechend zu handeln in den vergangenen Monaten gesehen. Die Basis für diese Solidarität ist die Sicherheit, dass man selber nicht „der Dumme“ ist, der heute etwas gibt und Morgen in Existenznot gerät. Soziale Sicherheit wird seit 30 Jahren als soziale Hängematte diffamiert. Sie ist aber — gepaart mit Transparenz und ehrlicher Politik — die Grundlage für ein solidarisches Zusammenleben. Die überwältigende Zahl der Menschen ist bei geringer werdenden Ressourcen zum Teilen bereit und hat auch noch etwas, was es teilen kann. Es muss aber ehrlich und gerecht zugehen.

In Steueroasen werden — wie die Panama Papers belegen — legal und illegal viele Milliarden Euro versteckt, die dem Staat bei der Finanzierung seiner Aufgaben fehlen. Wie solidarisch ist das?

Wolfgang Niclas: Das fiskalische Problem ist ein Skandal. Mit den entzogenen Milliarden könnten viele soziale Probleme gelöst werden. Genauso schlimm aber ist die Haltung, die hier zum Ausdruck kommt und vorgelebt wird. Die Ellenbogenmentalität, der Verzicht auf entscheidende Werte im menschlichen Zusammenleben und die Unterwerfung großer Teile der Politik unter dem Zwang der Ökonomie zerstören jeden gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Wenn der Reichtum der Wenigen nicht sehr viel stärker als bisher zur sozialen Existenzsicherung der Vielen herangezogen wird, haben wir das Gegenteil der Solidarität. Dann werden Demokratie und unsere grundgesetzlich festgeschriebenen Werte in Gefahr geraten.

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