Erlanger Autorin packt in der Tafel kräftig mit an

5.6.2015, 06:00 Uhr
Erlanger Autorin packt in der Tafel kräftig mit an

© Anestis Aslanidis

Der Arbeitskittel und die festen Handschuhe sehen nicht nach Poesie aus, auch nicht nach schriftstellerischer Schaffenskraft und Kreativität - sondern schlicht und ergreifend nach harter körperlicher Arbeit.

Und genau das ist es auch: Jeden Montag trägt die Erlanger Autorin Natasa Dragnic - die bereits mit ihrem Debütroman „Jeden Tag, jede Stunde“ auf Anhieb in die Bestsellerlisten stürmte, schwere Kisten mit Lebensmitteln sowie frischem Obst und Gemüse durch die Erlanger Tafel. Danach sortiert sie die Ware in Körbe, um sie wenig später an bedürftige Menschen zu verteilen. Seit vier Jahren packt die 50-Jährige in der Einrichtung der Diakonie in der Schillerstraße mit an. Ehrenamtlich wie alle anderen auch.

Physische Belastung

Die Idee hatte Dragnic, als sie 2011 zum Welttag des Buches gemeinsam mit der Stadtbibliothek Bücher verschenkte, und zwar an die Besucher der Tafel. Damals sei sie mit den freiwilligen Helfern ins Gespräch gekommen, erinnert sie sich. Eine Unterhaltung, die Folgen hatte: „Seitdem bin ich hier“, sagt die Autorin, „und fühle mich sehr wohl.“

Das Ehrenamt ist nicht immer leicht, räumt sie ein. Allein die physische Belastung merke sie schon sehr, auch die Lautstärke und die bisweilen nicht einfache Kundschaft seien manchmal anstrengend, sagt sie - und kommt doch jede Woche wieder. Denn Natasa Dragnic sieht ihre freiwillige Tätigkeit als „Bereicherung“, als eine „Reise in eine andere Welt“, fernab der einsamen Schriftstellerei und des Literaturbetriebes mit Lesungen und Schreibwerkstätten. Die Arbeit tut auch ihr gut, erzählt sie. Ihre Zeit in der Anlaufstelle sei ein „Lichtblick“ in der ganzen Woche.

Zugleich könne sie Menschen helfen, denen es nicht so gut geht wie ihr selbst - und damit der Gesellschaft etwas zurückgeben. Und dann ist da noch Dragnics Kindheitstraum, der sie schon durch ihr ganzes Leben begleitet: Schon immer habe sie sich vorgestellt, Hunger und Armut in Afrika zu bekämpfen. Das hat sie zwar bisher nicht realisiert, aber nun könne sie zumindest Bedürftige in ihrer zweiten Heimat unterstützen. Denn auch in Erlangen, das hat sie bei ihrer Freiwilligen-Tätigkeit gelernt, gibt es viel zu tun.

Wirklich überrascht aber hat sie die Armut, mit der sie nun jeden Montag konfrontiert wird, nicht. Der weitaus größte Teil der Bedürftigen, Senioren mit winziger Rente, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Asylbewerber, sind „ganz liebe und dankbare Menschen“, die für ihre Situation nichts können. Derzeit versorgt die Erlanger Tafel rund 600 Haushalte in Stadt und Kreis (das entspricht etwa 1500 Familienmitgliedern) mit zusätzlichen Lebensmittelspenden.

Dass die Zahl der Berechtigten stetig steigt, beobachtet auch die Schriftstellerin mit Sorge: „Was und wie viel wir von Privatleuten auch bekommen - es bleibt nie etwas übrig.“ Der Anblick von Kindern, die für ihre Familien Lebensmittelspenden abholen, geht Natasa Dragnic, die selbst Mutter ist, besonders ans Herz: „Der Gang hierher fällt schon Erwachsenen schwer, das müsste man den Kleinen dann doch ersparen.“

Auch in ihrer Heimat Kroatien gibt es Menschen, deren Einkommen nicht zum Leben reicht, selbst gut ausgebildete Akademiker wie Dragnic kommen dort nur schlecht über die Runden. „Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich im Auswärtigen Amt und in einer Schule gearbeitet und dennoch reichte das Geld nie aus.“ Vielleicht ist es genau diese Erfahrung, die die Literatin, Dozentin und Dolmetscherin für die Lage von Armen und Wohnungslosen sensibilisiert.

Die Liebe hat sie vor über 20 Jahren nach Erlangen verschlagen, eine Stadt, in der sie sich von Anfang an aufgehoben fühlte: „Sie ist klein und überschaubar und dennoch ist alles vorhanden.“ Eben auch die Schattenseiten des modernen (Sozial)Staats: Frauen und Männer, die ums tägliche Überleben kämpfen, irgendwo am Rand der Gesellschaft. Menschen mit Geschichten wie gemacht also für einen neuen Roman?

Manuskripte liegen vor

Natasa Dragnic lächelt und winkt ab. „Bisher habe ich noch nie über Politik geschrieben“, antwortet sie, „meine Themen sind immer sehr persönlich, mich interessiert, was die Menschen in ihrem Innersten bewegt.“ Aber vielleicht, fügt sie nachdenklich an, werde sie auch irgendwann einmal soziale Missstände in ihren Büchern aufgreifen.

Noch aber ist es nicht so weit. Die beiden fertigen Manuskripte erzählen wieder in gewohnt poetischer Sprache Psychogramme der Figuren. Das eine, verrät Natasa Dragnic unserer Zeitung, ist ein Insel-Roman: Mehrere Figuren verbringen zwei, drei Wochen an einem Ort - und die Autorin schildert, wie sich das Verhältnis der Personen in der Zeit verändert.

Das zweite Buch ist ebenfalls eine sensible Annäherung an die menschliche Psyche unter schwierigen Bedingungen: Eine Frau liegt nach einem Unfall im Koma, an ihrem Krankenbett versammeln sich die drei Männer ihres Lebens - und blicken zurück. Dragnic selbst blickt hingegen stets voller Zuversicht nach vorn. Beim Schreiben, aber auch und ganz besonders bei ihrem Ehrenamt.

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