Erlanger Erfolgsgeschichte, die noch nicht zu Ende ist

9.7.2018, 11:00 Uhr
Erlanger Erfolgsgeschichte, die noch nicht zu Ende ist

© Berny Meyer

Duy Anh Nguyen studiert an der Technischen Hochschule in Nürnberg Betriebswirtschaft im dritten Semester. In seiner Freizeit jobbt er an zwei Tagen in der Woche im neuen Jugendhaus am Anger in Erlangen, in dem eine Jugendlernstube und die offene Jugendsozialarbeit untergebracht sind. Kürzlich, bei der Eröffnungsfeier, stand er unversehens auf der Bühne.

Bildungsreferentin Anke Steinert-Neuwirth hatte ihn heraufgeholt, um ihn vorzustellen. Den Stadträten und zahlreichen Mitarbeitern aus dem Jugendamt, und auch den Kindern, die aus der benachbarten Grundschullernstube gekommen waren. "Lernstuben", hatte sie zuvor gesagt, "sind eine Erlanger Besonderheit". Sie seien Teil der Präventionskette des Jugendamtes. "Im Jugendamt sind viele Menschen, die sich einen Kopf machen, was man tun muss, damit es euch gut geht", erklärte sie den Kindern. Dann sagte sie: "Duy, du kommst aus der Präventionskette. Erzähl’ uns etwas von dir."

"Die Basics für den Quali"

Wenn Duy Anh Nguyen von sich erzählt, dann scheint er manchmal selbst zu staunen. Obwohl sich alles ganz einfach anhört, wenn der 27-jährige Erlanger den Faden seiner Geschichte im Heute aufgreift. Neben seinem Studium jobbt er in seiner Freizeit als "pädagogische Ergänzungskraft" — so die amtliche Bezeichnung — beim Erlanger Jugendamt, bringt Jugendlichen und jungen Erwachsenen Rechnungswesen, Kaufmännisches und "die Basics für den Quali", wie er sagt, bei. "Chance 8.9 plus" heißt der Bereich, in dem er eingesetzt ist.

2005 wurde "Chance 8.9 plus" als Modellprojekt im Familienpädagogischen Einrichtung (FAPE) in der Goldwitzer Straße in Büchenbach eingeführt. Mit einer halben Stelle war das Projekt zunächst besetzt, dann wurde es ausgeweitet auf den Anger. Heute arbeitet die Sozialpädagogin Kathleen Kollatschny in einer Vollzeitstelle, aufgeteilt auf beide Stadtteile. Als "Streetwork mit Bildungsauftrag" beschreibt sie ihre Arbeit. Es sei ein niederschwelliges Angebot, wer es annimmt, tut dies freiwillig. Zur Unterstützung hat sie zwei pädagogische Ergänzungskräfte — für zwölf Stunden reicht das Budget —, eine davon ist Duy Anh Nguyen.

Sprachliche Barrieren

Doch der Faden von Duy Anh Nguyens Lebensgeschichte hat auch noch ein anderes Ende. Eigentlich ist es der Anfang. Der liegt 27 Jahre zurück. Duy Anh Nguyen wird in Erlangen geboren, seine Eltern stammen aus Vietnam, zuhause wird vietnamesisch gesprochen. Bis zur vierten Klasse besucht er die Sonderschule, aufgrund sprachlicher Barrieren und Verhaltensauffälligkeiten, wie er rückblickend sagt. Er habe vieles nicht verstanden damals, eine Klasse musste er wiederholen, es sei schwierig gewesen, ihm etwas zu vermitteln, meint er selbst.

Dann wechselt er in die Mittelschule, macht den Quali, besucht zwei Jahre lang die Wirtschaftsschule, schließt eine Ausbildung zum Kaufmann an, besucht die Berufsschule in Nürnberg. Seine Noten sind längst exzellent, er fällt auf mit seinen guten Leistungen. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erhält er ein Stipendium, macht den Wirtschaftsfachwirt, beginnt das BWL-Studium. Er wird zum Vorzeigestudenten. Auf der Homepage des Ministeriums ist sein Gesicht zu sehen, er wurde ausgewählt, weil er gut ist. Weil er es geschafft hat, sich hochzuarbeiten.

Er selbst sieht das ganz nüchtern. "Hätte ich damals in der offenen Jugendsozialarbeit nicht mit Sonja die Bewerbung geschrieben, dann hätte ich nicht die Ausbildung gehabt, und dann hätte ich jetzt nicht das Stipendium".

Besuch von Lernstuben

Aber das allein ist es nicht. Bereits während seiner Sonderschuljahre besucht er die Grundschullernstube in der Max-Planck-Straße. "Dort wurde ich wirklich gut unterstützt", sagt er. "Ich hatte Kontakt mit den Betreuern, habe Deutsch mit den anderen Kindern gesprochen." Danach geht er sechs Jahre lang in die Jugendlernstube Am Anger. Die ist zu dieser Zeit noch in der Erba-Villa untergebracht. "Nachdem wir gegessen haben, haben wir Hausaufgaben gemacht, danach ging es hoch ins obere Stockwerk zur Jugendsozialarbeit, dort haben wir zum Beispiel gekickert", erinnert er sich.

Es entstehen auch Kontakte zu Sozialpädagogen in anderen Einrichtungen, beispielsweise zu Dietmar Felden, der im Jugendhaus West arbeitet und mit Jugendlichen klettern geht und zum Kanufahren. Duy Anh Nguyen erschließt sich eine neue Welt. Er fährt bei Freizeiten mit, lernt die Kletterfelsen bei Arco am Gardasee kennen.

Die Betreuer sagen: "Ihr müsst anderen vertrauen können, wenn ihr euch gegenseitig beim Klettern sichert". Da habe sich eine Gemeinschaft entwickelt, erinnert sich Duy Anh Nguyen. Die Distanz, die vorher da gewesen sei, sei dann weg gewesen. "Auf so einen Sport kommt man nur, wenn einen jemand hinbringt", sagt er. Eine weitere Erfahrung, die er macht: "Da waren auch ein paar Mädchen am Start, das war schon krass. Jungs und Mädchen waren bei dieser Sportart gleichberechtigt."

Manche Kontakte von damals sind bis heute geblieben, an Kletterfelsen zieht es Duy Anh Nguyen weiterhin und auch zum Kanufahren. Erst kürzlich hat er mit einem früheren Betreuer aus dem Jugendhaus West ein Kanupaddel gebaut. Seit letztem Herbst ist er nun selbst Betreuer, nicht als Pädagoge, sondern mit seinem kaufmännischen Fachwissen.

Ganz gezielt helfen

"Ich weiß, wie es abläuft", sagt er im Rückblick auf seine Schulzeit. Da könne er ganz gezielt helfen. "Ich hatte damals ja auch so was. Von Rechnungswesen hatte ich gar keinen Plan und bekam Unterstützung." Mehrere Mittelschüler, mit denen er lernt, hätten sich inzwischen in Mathematik deutlich verbessert, "das zeigt mir, dass es funktioniert".

Für Duy Anh Nguyen ist klar, dass er etwas zurückgeben will von dem, was er selbst erfahren hat. "Von damals profitiere ich heute noch", sagt er, als er bei der Jugendhaus-Eröffnung auf der Bühne steht.

"Je mehr man sich traut, desto effektiver ist man", fügt er hinzu.

Er traut sich viel inzwischen. Dazu gehört auch, seine Geschichte öffentlich zu machen, weil sie anderen Mut machen kann. Der kleine Junge, der die Sonderschule besucht und der er einst war, ist in weite Ferne gerückt. Vergessen hat Duy Anh Nguyen ihn jedoch nicht.

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