Erlanger Experte: "Alkoholiker werden stigmatisiert"

26.1.2015, 12:00 Uhr
Erlanger Experte:

© Harald Sippel

Herr Professor Kornhuber, Ihr Vortrag heißt „Alkoholproblem: erkennen und behandeln“. Wie erkennt man ein Alkoholproblem?

Johannes Kornhuber: Das ist oftmals schwer zu erkennen, weil die Personen häufig gut integriert sind, also einen Partner und einen Job haben. Hinweise wären Fehltage im Beruf, eine Fahne, manchmal gibt es auch körperliche Zeichen wie einen Bierbauch. Aber das ist alles nicht so spezifisch. Die Faktoren können auftreten, erlauben aber für sich allein nicht die Diagnose eines Alkoholproblems oder einer Alkoholkrankheit.

Was braucht man zur Diagnose?

Kornhuber: Dazu braucht man das Gespräch mit dem Patienten. Wir unterscheiden zwei Arten: Das eine ist eine körperliche Schädigung durch Alkohol, also ein schädlicher Gebrauch, ohne dass es zur Abhängigkeit kommt. Folgeschädigungen müssen eindeutig sein, etwa Nerven- oder Leberschädigungen oder im sozialen Bereich der Verlust des Arbeitsplatzes. Um das zu differenzieren, braucht es bestimmte Kriterien.

Welche sind das?

Kornhuber: Das Verlangen nach der Substanz, wir nennen das Craving, was im Englischen etwa heftiges Verlangen heißt. Ein weiteres Kriterium ist der Kontrollverlust, wenn man sich zwar vornimmt, nichts mehr zu trinken, das aber nicht einhalten kann. Außerdem entwickelt der Betroffene oft eine zunehmende Toleranz und verträgt immer mehr. Entzugserscheinungen können auftreten, so dass man Hobbys und Familie vernachlässigt und weiter konsumiert, obwohl die schädlichen Folgen da sind. Das sind die Kriterien für die Abhängigkeit, es müssen nicht immer alle auftreten, aber wenn drei oder mehr erfüllt sind, würden wir von Abhängigkeit sprechen.

Ist der Alkoholabhängige ein labiler Mensch oder krank?

Kornhuber: Es ist eine Krankheit. Diese Ansicht hat sich Mitte des letzten Jahrhunderts durchgesetzt. Alkoholismus wird als Krankheit behandelt und auch von den Versicherungen so bezahlt. Es ist keine Willensschwäche, das wäre deutlich zu kurz gegriffen.

Warum wird dann der eine Alkoholiker und der andere nicht?

Kornhuber: Das sind unterschiedliche Ursachen. Oft sind es biologische, etwa genetische, Faktoren. Es gibt ein Enzym im Alkoholstoffwechsel; wenn das verändert ist, kann es sein, dass man auf Alkohol empfindlicher reagiert und das schützt vor Alkoholkrankheit. Zudem spielen die Verfügbarkeit von Alkohol, Gruppendruck und psychische Faktoren wie Stress, Scheidung oder Arbeitslosigkeit eine Rolle. Oft ist es ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren.

Wenn Alkoholismus eine Krankheit ist, müsste der Betroffene auch als Kranker, ähnlich wie ein Krebspatient oder Diabetiker, in der Gesellschaft betrachtet werden. Das ist aber nicht der Fall. Warum?

Kornhuber: Das ist richtig. Diese Diagnose ist noch deutlich stigmatisiert, sie ist in der Gesellschaft mit Ablehnung verbunden, aber auch bei den Patienten selbst. Bei den Behandlern ist das ebenfalls oft eine nicht so gern gesehene Patientengruppe, etwa in den internistischen Kliniken. Häufig gehen viele körperliche und soziale Folgeprobleme damit einher. Oft führen Rückfälle zu Frustrationen bei Ärzten, dem Alkoholiker und der Familie. Es gibt also meistens viele Baustellen.

Jeder trinkt zwar Alkohol, aber wenn jemand krank wird, trifft er auf wenig Verständnis.

Kornhuber: Das ist eine Doppelzüngigkeit. Es wird gerne getrunken. Oft verleitet man sogar jemanden zum Trinken und bekommt ein schlechtes Gewissen, wenn ein anderer nicht trinkt. Wenn aber ein Alkoholproblem auftritt, ist das dann mit Ablehnung verbunden.

Werden jugendliche Komasäufer zu Alkoholikern?

Kornhuber: Sie sind potenziell gefährdet, denn sie legen ein sehr problematisches Trinkverhalten an den Tag. Ob sie später abhängig werden, müsste man anhand der genannten Kriterien feststellen.

Wie sieht eine Behandlung aus?

Kornhuber: Zunächst ist das Erkennen wichtig. Danach sollte der Arzt mit dem Patienten positiv ins Gespräch kommen. Denn Ablehnung spüren Alkoholkranke überall. Wenn der Therapeut auch noch konfrontativ arbeitet, gewinnt er die Patienten nicht. Er muss die Selbstwirksamkeit und die Eigenverantwortung des Betroffenen für dessen Leben betonen sowie über Therapiemöglichkeiten informieren. Dann findet eine körperliche Entgiftung statt. Es sollte parallel oder anschließend eine weitergehende Behandlung stattfinden, um die Abstinenz zu festigen und Verhaltensalternativen aufzuzeigen.

Wie groß ist der Erfolg?

Kornhuber: Wenn nur die Entgiftung stattfindet, ist das Rückfallrisiko sehr hoch. Wenn man aber einen Patienten sachgerecht behandelt und motiviert, dazu eine Nachsorge anbietet und eine Selbsthilfe organisiert, ist der Erfolg schon ganz gut — und liegt bei etwa 50 Prozent.

 

Professor Johannes Kornhuber hält am Montag, 26. Januar, im Rudolf-Wöhrl-Hörsaal, Östliche Stadtmauerstraße 11, in Erlangen um 18.15 Uhr zum Thema Alkoholismus einen öffentlichen Vortrag. Der Eintritt ist frei.

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