Erlangerin saß in der Schule neben Sophie Scholl

20.2.2018, 18:30 Uhr
Erlangerin saß in der Schule neben Sophie Scholl

© Foto: Dieter Köchel

Nur eine Armlänge voneinander entfernt saßen die beiden neunjährigen Mädchen im Klassenzimmer der Volksschule im badenwürttembergischen Ludwigsburg. "Vielleicht habe ich Ihnen ja gar nichts zu erzählen", schränkt die 96-jährige Dora Grossmann bei der Begrüßung ein. "Es waren ja nur zwei Jahre."

Und dicke Freundinnen waren die beiden Mädchen auch nicht, sondern eben nur Klassenkameradinnen, die zufällig nebeneinander saßen. "Sie hat mich nicht interessiert", bekennt Dora Grossmann, "wir sind privat nicht zusammengekommen." Ein wenig hat sie das Mädchen, das aus Forchtenberg zugezogen war, aber doch noch vor ihrem geistigen Auge. Eine sehr stilles, ruhiges und unauffälliges Kind sei die Sophie Scholl gewesen, "zart, zierlich und klein". Aber unter den dunkelblonden Haaren, saß ein Paar lebhafter brauner Augen im Gesicht.

Viel mehr weiß sie über die neunjährige Sophie Scholl nicht zu sagen. Wiewohl sie beide damals beim Bund deutscher Mädchen (BDM) waren, der Mädchenorganisation der Nationalsozialisten, waren sie offenkundig auch dort nicht in der gleichen Gruppe.

An eigene Details aus der Schulzeit erinnert sich Dora Grossmann noch genau. "Wir hatten eine Lehrerin, bei der wir das Stricken lernten. Ich konnte das nicht richtig und musste immer wieder mal die Stricknadel mit einem Klicken auf der Schulbank aufsetzen." Das habe die Lehrerin sehr geärgert. "Da habe ich Tatzen bekommen."

Dagegen kann sie sich nicht erinnern, dass sie Mitschülerinnen jüdischen Glaubens in der Klasse gehabt hätte. "Damals lebten in Ludwigsburg nicht so viele Juden", sagt Dora Grossmann. Eine jüdische Familie kommt ihr aber doch ins Gedächtnis; die lebte "im ersten Stock im Haus von Verwandten, die eine gut gehende Buchbinderei hatten", erzählt die 96-Jährige aus ihrem Fauteuil heraus. Die Verwandten hätten damals immer "Matzen" (ungesäuertes Brot) von der jüdischen Familie erhalten. Die Familie habe die Zeichen der Zeit aber bald erkannt und Nazi-Deutschland verlassen, schildert Grossmann.

Sie selbst zog mit ihren Eltern bald nach Stuttgart, besuchte dort das evangelische Mädcheninstitut bis zur mittleren Reife; später hat Dora Grossmann das Abitur nachgemacht und Zahnmedizin studiert. Sie winkt ab, aber nie praktiziert, weil sie gleich nach dem Krieg ihren Mann heiratete, mit dem sie bald nach Erlangen zog.

Unterdessen war Sophie Scholl zum Studium der Biologie und Philosophie nach München gezogen und mit der "Weißen Rose" bemüht, Widerstand gegen das Nazi-Regime an der Universität zu schüren, wo sie beim Verteilen von Flugblättern mit ihrem Bruder erwischt wurde – mit dem bekannten Ausgang, der Ermordung der beiden auf dem Schafott.

Dora Grossmann sagt verwundert und bewundernd, die EN-Ausgabe zur Erinnerung an Hans und Sophie Scholl in der Hand: "Als ich das erste Mal davon las, war es für mich eine große Überraschung, dass eine so stille, zurückhaltende Person wie Sophie Scholl so eine Stärke und innere Macht hat."

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