Für den Skispringer wird Olympia-Traum noch wahr

26.1.2018, 18:19 Uhr
Für den Skispringer wird Olympia-Traum noch wahr

© Fotos: Rödel/dpa/Archiv

Im Alter von 48 Jahren natürlich nicht mehr als Sportler (auch wenn der Japaner Noriaki mit 45 immer noch aktiv ist), sondern als Physiotherapeut für das Schweizer Skispringerteam. Dessen unumschränkter Star ist der vierfache Olympiasieger Simon Ammann, nach seinem Doppeltriumph als 21-Jähriger in Salt Lake City auch bekannt als "Harry Potter der Lüfte". 2018 wäre eine Medaille für den 36-Jährigen eher eine Überraschung, aber André Kiesewetter traut seinem Schützling alles zu: "Den darf man nie abschreiben, vor allem nicht bei Olympia."

Sich selbst hat der gebürtige Thüringer, geboren in Neuhaus am Rennweg, aufgewachsen in Lauscha und sportlich aktiv für den legendären SC Motor Zella-Mehlis, auch nie abgeschrieben, "Aufgeben" gehört nicht zu seinem Wortschatz. Lange hatte er in den 1990er Jahren um ein Comeback gekämpft.

Aber nach seinem folgenschweren Sturz im September 1991 (Trümmerfraktur im Sprunggelenk, alle Bänder gerissen und – zunächst unerkannt – eine schwere Muskelverletzung, die fast eine Amputation erforderlich gemacht hätte) kam er nie an die Form seiner früheren Jahre heran. So hat er zwei Weltcupsiege in seiner Bilanz stehen, zudem war er im Winter 1990/91 auf der Flugschanze in Planica als Erster bis auf 196 Meter hinabgesegelt.

Zu DDR-Zeiten hatte André Kiesewetter Kfz-Mechaniker gelernt, nach der Wende schulte er um zum Physiotherapeuten – immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dem Sport irgendwie erhalten bleiben zu können. Seit 2000 ist er in Franken heimisch, arbeitet in der Herzogenauracher Fachklinik und wohnt in Münchaurach.

Und tatsächlich zählt Sport weiter zu seinem Aufgabengebiet. So betreute er jahrelang die Handballfrauen des 1. FC Nürnberg, die ja sogar in der Champions League für Furore sorgten, ehe die finanzielle Seifenblase platzte. Zwei Saisons lang behandelte er auch die Handballerinnen der TS Herzogenaurach (damals noch in der Bayernliga), was ihm aber seinerzeit etwas "zu unprofessionell" war. Und selbst hielt er sich mit Ausdauersportarten fit.

Dass Kiesewetter nun noch auf den Zug nach Südkorea aufsprang, ist aber eher auf einen Zufall zurückzuführen. Da las er die Meldung, dass sein ebenfalls im thüringischen Neuhaus geborene Skisprungkollege Ronny Hornschuh 2016 zum Trainer der Schweizer ernannt wurde. Kiesewetter gratulierte auf Facebook und fügte flapsig hinzu: "Falls du noch einen Physio brauchen solltest . . ." Drei Minuten später kam der Rückruf!

Aber da gab es noch ein Problem zu lösen: Schließlich ist er ja fest angestellt in der Fachklinik, und da er von Oktober bis März benötigt wurde, musste er ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub beantragen. Die Klinikleitung zeigte sich aber äußerst kooperativ und wollte ihrem Mitarbeiter keinen Stein in den Weg legen. "Dafür war ich sehr dankbar", sagt Kiesewetter zurückblickend. Und nachdem die erste Saison gut gelaufen war, wiederholte sich die Anfrage im Olympiawinter. Und erneut gab es grünes Licht von den Chefs, die André Kiesewetter seinen Lebenstraum ermöglichen wollten.

Nun steht Olympia vor der Tür, am Mittwoch ging die Reise zum Weltcup nach Zakopane in Polen, dann folgt die Einkleidung in Zürich, wo auch entschieden wird, ob neben Simon Ammann und Gregor Deschwanden auch ein Schweizer Team nominiert wird, dann ein einwöchiges Trainingslager im japanischen Sapporo (dort hatte Kiesewetter 1990 einen seiner beiden Weltcups gewonnen), ehe es nach Pyeongchang geht.

Das Dasein als Team-Physio sei aber alles andere als ein Zuckerschlecken, betont Kiesewetter: "Du hast kein Wochenende, hockst ständig auf gepackten Koffern und bist immer auf Reisen. Und an den Trainings- und Wettkampftagen bin ich stets morgens einer der Ersten, der ran muss und abends der Letzte, weil die Jungs ja noch behandelt werden müssen. Bei einem Flutlichtspringen war ich bis 1.30 Uhr im Einsatz. Aber mir macht das tierisch Spaß!", erzählt Kiesewetter.

Gute Physiotherapie sei gerade bei einer Präzisionssportart wie dem Skispringen wichtig. Stehe beispielsweise das Becken nur minimal schief, käme das gesamte Flugsystem durcheinander. "Und dann wird man bei der Dichte in der Weltspitze schnell um 20, 30 Plätze nach hinten durchgereicht." Solche Probleme will André Kiesewetter bei seinen Schweizer Sportlern gar nicht erst aufkommen lassen. Nun ist Kiesewetter also doch bei Olympia angekommen – mit 26 Jahren Verspätung. Und fühlt sich bestätigt in seinem Glauben, "dass man seine Ziele einfach niemals aufgeben darf".

"Man darf seine

Ziele einfach

niemals aufgeben."

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