Gerechtigkeit braucht Präzision

9.5.2009, 00:00 Uhr
Gerechtigkeit braucht Präzision

© Ralf Rödel

Die Vision und den Auftrag, Menschen unabhängig von ihrer Nationalität und ihrer kulturellen Herkunft zu verstehen, hat auch die Justiz. Ohne Dolmetscher und Übersetzer wären Rechtsprechung und Sühne nicht möglich, wäre Gerechtigkeit ein Witz. Die Ausstellung «Dolmetscher und Übersetzer beim Nürnberger Prozess», die im Amtsgericht Erlangen während der Öffnungszeiten des Gerichts und bis zum 30. Juli zu sehen ist, macht dies an dem Beispiel deutlich, das die Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit im Völkerrecht neu definiert hat.

«Ich brauche keinen Rechtsanwalt, ... was ich wirklich brauche, ist ein guter Dolmetscher», sagte Hermann Göring, Hauptangeklagter beim Nürnberger Prozess. Auch den vier Großmächten war bewusst, welche Bedeutung der Sprache zukommen würde – und dass diese Verhandlungen ohne Dolmetscher unmöglich wären. So erlebte das Simultandolmetschen während der Nürnberger Prozesse seine Geburtsstunde. Im Amtsgericht Erlangen ist in der sehr sehenswerten Ausstellung auf vielen Fotos die damals neu konstruierten Maschinen für die Übersetzer sehen, die vielen Mikrofone und Kopfhörer dazu.

Die Ausstellung, die bereits am Originalschauplatz im Gerichtsgebäude Nürnberg gezeigt wurde, ist in Erlangen zu ihrem «Erfinder» gekommen: Der Erlanger Dolmetscher und Übersetzer Theodoros Radisoglou hat die Idee, die Geburtsstunde des Simultandolmetschens in den historischen Kontext zu setzen, gemeinsam mit dem damaligen amerikanischen Fotoreporter Ray D’Addario verwirklicht. Herausgekommen ist eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Schau

Radisoglou, der seit 1974 als griechischer Dolmetscher in Gerichtsverfahren unterwegs ist, erklärt, dass den Dolmetschern und Übersetzern eine tragende Rolle im Verfahren gegen die Kriegsverbrecher des Nazi-Regimes zukam.

Polarität bleibt

Der Direktor des Erlanger Amtsgerichts, Werner Althoff, verwies bei der Eröffnung der Ausstellung auf das Wahrnehmungsphänomen, dass Fehlurteile infolge fehlerhafter Sachverständigengutachten schnell aufgedeckt würden, solche aber infolge schlechter Übersetzung eher selten. Sein Fazit: «Die Qualifiziertheit eines Dolmetschers muss verlässlich sein.» Für Radisoglou aber noch nicht alles: Die Prozessbeteiligten hätten neben den sprachlichen Herausforderungen auch die kulturellen Eigenheiten zu bewältigen - nicht nur fremde Sprachen und Kulturen prallten hier aufeinander, auch Menschen aus den unterschiedlichsten Rechtssystemen begegneten sich im Prozess.

Der ehemalige Präsident des Landgerichts Nürnberg, Prof. Klaus Kastner, gewinnt dem Nürnberger Prozess einen anderen, wenn auch nicht unbedingt ermutigenden Aspekt ab: «Die Polarität zwischen Recht und Macht, zwischen dem, was nicht sein darf, und dem, was gleichwohl geschieht, wird fortdauern. Selbst dann, wenn eine völkerstrafrechtliche Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit droht.»