Grippe: "Jetzt kommen noch die allerletzten Panikimpfer"

15.2.2018, 16:00 Uhr
Grippe:

© Maurizio Gambarini/dpa

Herr Prof. Kühlein, seit Anfang dieses Jahres sind die Grippe-Neuinfektionen massiv angestiegen. Allein in Bayern gab es in den ersten fünf Wochen 2000 neu registrierte Fälle. Kommt die Influenza heuer langsam, aber heftig?

Thomas Kühlein: So wie jedes Jahr. Es ist in diesem Jahr wohl wieder etwas mehr Aktivität als die vergangenen Jahren. Aber Anfang des Jahres ist ja immer die typische Zeit für die Grippe. Man impft daher im Herbst, weil die Aktivität meistens im Januar und Februar ansteigt.

 

Ist denn der Höhepunkt der Grippewelle jetzt erreicht?

Kühlein: International verfolge ich die Entwicklung etwas mit, da nimmt man an, dass das Ende der Grippewelle noch nicht erreicht ist. Sie wird sicher noch ein paar Wochen bleiben. Das heißt aber nicht, dass die Welle noch dramatisch ansteigt. Die Zahlen werden natürlich mehr, wobei die Ersten ja schon längst wieder gesund sind. Die Aktivität aber bleibt hoch, das wird schon eine Weile so sein.

 

Nicht jeder Arzt führt bei einem Grippeverdacht einen Test durch, liegt dann die Dunkelziffer noch höher?

Kühlein: Es gibt zwei Gründe, weshalb man einen solchen Test machen sollte, zum einen, wenn er eine Konsequenz hat. Die Konsequenz einer Therapie ist hier nahezu nicht existent. Es gibt zwar antivirale Mittel, eine Art Antibiotikum für Viren. Das hat so wenig Wirksamkeitsnachweis, dass die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin empfiehlt, es gesunden Erwachsenen überhaupt nicht zu geben und es nach gutem Abwägen nur Patienten mit Vorerkrankungen zu verabreichen. Zumal diese Arzneien Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen aufweisen.

 

Und der andere Grund?

Kühlein: Der andere Grund ist, dass man immer ein bisschen wissen will, wie die Aktivität des Virus im Moment ist. Das Gefährlichste, was passieren kann, ist, dass die Leute mit einem Schnupfen zum Arzt gehen, wenn die Aktivität am höchsten ist und neben Influenza-Erkrankten sitzen und sich dort anstecken. Über die Aktivität, also die Verbreitung des Virus, informiert zu sein, gibt es schon Gründe. Dafür gibt es Abstriche, die Kartierungen werden vom Robert Koch-Institut herausgegeben. Aber als Arzt in einer Praxis gibt es keinen ernsthaften Grund, einen Abstrich zu machen.

 

Die Tests werden nicht von der Kasse erstattet. Ist das mit ein Grund, dass nicht jeder Arzt ihn durchführt?

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© Uniklinik

Kühlein: Der Grund ist, dass es keine Konsequenz hat. Sonst wird bei jedem Schnupfen getestet, was gar nichts ändert. Das hat nichts mit Geiz zu tun, sondern mit Vernunft. Man muss sich klar sein: Nur weil ich das Virus nachweise, heißt das nicht, dass der Patient sterbenskrank ist. Ich habe in meinem ganzen Hausarztleben noch keinen Patienten wegen Influenza ins Krankenhaus eingewiesen oder gar daran sterben sehen.

 

Aber solche Fälle gibt es.

Kühlein: Natürlich, aber das sind in aller Regel multimorbide Patienten und deswegen sollte man die auch impfen: alle über 60 und alle mit Herz- und Lungenerkrankungen. Aber auch der Effekt ist nicht ganz sicher. Bereits die Wahrscheinlichkeit, eine Influenza zu bekommen, bleibt für den Einzelnen klein. Dann ist auch der Schutzeffekt einer Impfung nicht perfekt, weil das Virus sich einfach mal ändern kann.

 

In dieser Saison steht der Impfschutz im Zentrum. Kritiker sagen, dass die Kassen nicht den vorhandenen Vierfach-, sondern nur einen Dreifach-Impfstoff zahlen. Führt das wirklich zur größeren Ausbreitung?

Kühlein: Nein, die Kassen stehen auf dem Standpunkt — und ich denke, das ist richtig so und das sieht auch das Robert Koch-Institut so —, dass man eigentlich mit den Dreifach-Impfstoffen einen guten Schutz hat. Das ist ja ein bisschen absurd: Wenn man sich die Impfungsraten anschaut, sind sie, wie bei allen Impfraten, relativ klein. Und die wenigen, die sich dann impfen lassen, wollen auch noch diesen winzigen Unterschied zwischen Dreifach- und Vierfach-Impfstoff rausholen. Das ist nicht das Problem, das wir haben. Vielmehr wissen wir nicht, was für ein Virus kommt. Dann kommt der Vierfach-Impfstoff auf dem Markt und nun schreien alle, wir brauchen den anderen Impfstoff und können den anderen wegwerfen. Das ist Unsinn.

 

Dennoch hat unter anderem die DAK darauf hingewiesen, dass sie das Vierfach-Mittel nimmt.

Kühlein: Die DAK hat das gemacht? Na ja. Das ist halt dieser Unsinn, den man in den 2000er Jahren gemacht hat, in dem man meinte, man müsse Konkurrenz zwischen Krankenkassen treiben und dann wird alles besser. Da ist so viel Irrationalität dabei. Bei der Schweinegrippe sollte das Tamiflu für einen Katastrophenfall in Fässer eingelagert werden. Klar muss man sachlich versuchen, die Risikogruppen zu impfen, aber man darf das Thema nicht immer so hochspielen.

 

Dabei geht es auch um Geld.

Kühlein: Natürlich. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass mit der Angelegenheit auch wahnsinnig viel Geld verdient wird und dahinter Interessen stehen. Man wäre naiv, wenn man die nicht auch mal ansprechen würde: sowohl mit Impfstoffen wie mit Anti-Grippe-Mitteln. Wenn man sich die Menge an Geld anschaut, die ausgegeben und verdient wird in Relation zu den Effekten, dann ist es irgendwie schon ein bisschen schwierig.

A propos Geld. Helfen denn die Mittel, die man kaufen kann?

Kühlein: Wenn man sieht, was die Leute allein bei Erkältungen an Geld in den Apotheken lassen, wo man sagen kann, die Hälfte davon ist nachgewiesener Unsinn und die andere Hälfte ist unbewiesener Unsinn. Da hat einfach noch nie einer eine Studie dazu gemacht. Das beruht auf reiner Behauptung. Diese ganze Schleimlöserei und was nicht alles gegeben wird. Selbst Hustendämpfer, die dann auch von Ärzten als Hustenblocker bezeichnet werden wie das Kodein, haben im Grunde keinen Nachweis, dass Sie auch nur einmal weniger husten als wenn Sie Placebo nehmen in den Studien. Das funktioniert nicht.

 

Laut Experten ist das Grippevirus heuer sehr aggressiv. Heißt das, die Ausbreitung ist größer oder der Krankheitsverlauf schlimmer?

Kühlein: Aggression ist eine menschliche Eigenschaft und keine virale. Natürlich: Wenn jemand eine echte Influenza hat, dann ist er krank. Er hat nicht nur einen Schnupfen und er hat nicht nur eine leicht erhöhte Temperatur, sondern ihm geht es schlecht. Trotzdem ist die Grippe für die weit überwiegende Mehrzahl der Patienten, die diese Erkrankung bekommen, anstrengend und eine Quälerei, aber sie geht genauso folgenlos vorbei wie die meisten Virusinfekte, jedenfalls die, die Atemwegsinfekte auslösen.

 

Und die Expertenmeinung?

Kühlein: Auf Expertenmeinungen würde ich wenig geben, wenn etwas nicht in einer Studie belegt wurde, ist es fraglich, ob es stimmt. Es ist nie lustig, wenn man die Grippe hat. Da ist man krank. Und da kann man die Wahrscheinlichkeit verringern, wenn man sich im Herbst impfen lässt. Gegen die Beschwerden kann man Paracetamol oder Ibuprofen nehmen, aber heilen kann man die Krankheit nicht. Das passiert von allein.

 

Kann man sich gegen Grippe wappnen wie vor Erkältungen?

Kühlein: Das ist ein alter Traum, dass man das kann. Da gibt es auch immer wieder Studien, in denen von Zink die Rede ist oder von Umckaloabo. Bei Zink ist es letztlich unklar, wie hoch die Dosis eigentlich sein sollte, da sind wohl minimale Effekte da, aber es ist auch immer wieder von der Studienqualität hinterfragt worden, ob das wirklich stimmt und es ist unklar, ob Sie Ihr Darmrohr voll verzinken müssen oder ob ein Spurenelement reicht. Ich rate vor allem zum regelmäßigen Händewaschen.

 

Aber viele schwören auf Ihre Mittel.

Kühlein: Das Witzige ist, dass Sie bei den grippalen Infekten, die Erkältungen auslösen, verfolgen können, wie diese im Lauf des Lebens immer weniger werden. Wenn Sie die 60 überschreiten, haben Sie nur noch ganz selten Erkältungen, dafür haben Sie dann anderen Mist am Hals.

 

Da bin ich lieber zwei- oder dreimal pro Jahr erkältet.

Kühlein(lacht): Ja, stimmt. Aber wenn das dann natürlicherweise eh abnimmt, vermitteln dann alle Mittel den Eindruck: Oh, im Winter habe ich dieses und jenes genommen und ich hatte keine einzige Erkältung oder nur eine. Dann werden sofort Regeln abgeleitet, aber das ist wissenschaftlich alles unbelegt und ziemlich schwierig.

Was machen Sie zur Vorbeugung gegen Erkältungen?

Kühlein: Ich schaue, dass ich genug schlafe, mich vernünftig ernähre und ein bisschen meinen Sport mache. Und ich bin dem ja fast jeden Tag in der Praxis ausgesetzt und stecke den Leuten auch noch den scheußlichen Holzspatel in den Mund und dann husten sie mich an. Ich hab’s so oft, wie jeder andere auch.

 

Auch nicht wissenschaftlich fundiert, sondern mein subjektiver Eindruck ist, dass die Erkältungen heuer besonders hartnäckig und heftig sind.

Kühlein: Ich vermute, dass Sie diese Meinung fast jedes Jahr hören können. Wir Menschen sind so. Wir vergessen schnell Ich bin da keine Ausnahme, außer dass ich die Annahme vielleicht stärker bezweifle als andere. Aber diesen Eindruck habe ich auch. Dabei gibt es den jedes Jahr. Ich glaube nicht, dass in diesem Jahr irgendetwas besonders Krasses passiert.

 

Also alles im grünen Bereich?

Kühlein: Wenn jemand die Grippe hat und Sie sagen, alles im grünen Bereich, ist er zu Recht gekränkt, weil es ihm wirklich schlecht geht. Aber statistisch gesehen ist die Grippewelle wie im jedem anderen Jahr auch: Jetzt gibt es die höchste Aktivität und das wird noch ein bisschen so bleiben, aber dann wird das Virus wieder verschwinden so wie jedes Jahr.

 

Ist es dann jetzt überhaupt noch sinnvoll, sich impfen zu lassen?

Kühlein: Wann das Virus bei Ihnen vor der Haustür steht und wie Sie sich infizieren könnten oder nicht, weil Sie geimpft sind, weiß ja immer keiner. Wenn die Aktivität noch ein paar Wochen geht, würde es vielleicht schon Sinn machen. Die Immunität braucht eine Weile, bis sie sich aufbaut und mit ein wenig Glück sind Sie einer derjenigen, die späten Kontakt haben in der Saison und vielleicht durch die Impfung doch noch profitieren. Doch eigentlich sollte man sich das im Herbst überlegen und nicht jetzt, wenn die allerletzten Panikimpfer kommen.Interview: SHARON CHAFFIN

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