Hans Meyer erhebt Fußball zur Kunst

3.9.2013, 10:16 Uhr
Hans Meyer erhebt Fußball zur Kunst

© Erich Malter

Jürgen Kaube, stellvertretender Leiter des Feuilletons, betreut das Ressort Geisteswissenschaften bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, vor allem aber ist er passionierter Außenverteidiger und Werder-Bremen-Fan – und jetzt zu Gast in Erlangen, wo man, anlässlich des 33. Poetenfestes, einen Fußball in den Schlossgarten gerollt hat. Mitten unter die Dichter. Der Ball: „Wie alles, was rund ist, ein Sinnbild für das Ungewisse“ (Peter Handke).

Kaubes Bremer haben gerade 1:4 verloren – gegen Hans Meyer. Gut, gegen Meyers Mönchengladbacher Borussia; jetzt ist auch Meyer zu Gast in Erlangen und der einzige Sieger eines Trios, zum dem noch ein Sportredakteur gehört, der Artikel für diese Zeitung schreibt. Artikel wie diese. Also diesen Artikel, zum Beispiel.

Vortags sah der Sportredakteur das Bundesligaspiel zwischen Nürnberg und Augsburg, weshalb er Kaubes Befindlichkeit teilt. Fußball macht nicht immer nur glücklich. Die neunzig Minuten vom Samstag im Frankenstadion jedenfalls taugen wenig zur Einstimmung aufs Thema: Wie viel Kunst steckt im Fußball? Wo berühren sich das Runde, der Ball also, und das Eckige, das Buch?

Immerhin hat das Trio eine gemeinsame Vergangenheit; beide Redakteure – Fußball und Feuilleton, Herz und Hirn – standen in jenem Jahrhundertteam der in Nürnberg ansässigen Deutschen Akademie für Fußballkultur, welches die von Hans Meyer trainierte Nationalmannschaft der deutschen Schriftsteller legendär zu besiegen vermochte. Wahrscheinlich wenigstens, das genaue Resultat ist der Erinnerung entfallen – aber die Verklärung setzt beim Fußball ja glücklicherweise sofort ein.

Anstoß in der Orangerie, die so überfüllt ist, dass die Frage – passt das zusammen, Ball und Buch? – eigentlich gar nicht mehr gestellt werden muss. Mit Fußball beginnt doch alles – sagt Kaube, gefragt, wie denn ein Mann des Geistes mit solcher Begeisterung dem einstigen Proletensport anhängt. Das Kind spielt, bevor es liest, später tut es beides, und ein Widerspruch ist das tatsächlich nie gewesen – vielmehr hätten Berührungsängste eher die Kunst in Bedrängnis gebracht. Der Autor Dirk Schümer jedenfalls behauptet, „dass die deutschen Schriftsteller über ihre Gesellschaft nichts Wesentliches mehr aussagen konnten, weil sie vom Fußball keine Ahnung hatten“.

Kafkas Sorge („Hört der Fußball jetzt auf?“, fragte er bang nach frühen Kampagnen gegen das angeblich rohe Vergnügen) war im Rückblick aber unbegründet; das Spiel begann, die Literatur zu inspirieren. Handkes Angst des Tormanns beim Elfmeter versteht sogar besser, wer das fußballerische Leitmotiv begreift; spätestens, als Fußball zum Gesellschaftsspiel wurde, war dessen angebliche Literatur-Unfähigkeit widerlegt. Und wer Bücher schreiben kann, will längst auch Spiele lesen können.

Die jüngere Autoren-Generation versammelt reihenweise fußballerische Begabungen: Ostermeier, Rinke, Brussig – sie alle kickten bei Meyer in der Dichternationalmannschaft, ehe der Ehrgeiz ungesund wurde und der Pädagoge Meyer, ewiger Jahrhunderttrainer des 1.FC Nürnberg, kein Gehör mehr fand. Dann, berichtete Meyer, „haben sie mich entlassen.“ Wunderschöner Stoff für eine Biographie eigentlich, erst recht in Zeiten, da die Fußballliteratur blüht wie noch nie und Philipp Lahms vorläufige Lebensbilanz sogar Charlotte Roches Feuchtgebiete von der Spitze der Bestsellerliste verdrängte.

Aber Hans Meyer mag nicht. Warum? „Um ehrlich zu sein, Hans“, sagt er: „Weil ich dir das nicht zutraue“ – aber bevor man gekränkt ist, hört man Meyers vorhergehende Sätze nachklingen. Zum Sinn des Spiels, bei dem man lernen kann – alles, was eine gute Erziehung ausmacht. Also auch Demut, die man jetzt üben darf. Und selbst Hans Meyer kann sich irren. Die Dichter trainieren? „Die größte Fehleinschätzung seiner Karriere“, sagte Ronnie Reng, Autor von „Spieltage“, des von der Akademie gekürten Fußballbuchs des Jahres.

„Gute Arbeiter“, sagte Meyer, seien seine Fußballer aber immer gewesen: „Nur wenn die auf den Platz gegangen sind, war von Kunst nicht viel zu sehen“, trotzdem: „Wenn ich ins Theater gehe, sehe ich manchmal ebenfalls viel Mist – und ein schönes Fußballspiel bietet mir so viel Freude und Befriedigung, wie sie mir Kunst auch bietet.“ Und so mühten sich redlich: Hans Meyer, Jürgen Kaube und:

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