In Erlangen droht neues Flüchtlingsdrama

12.6.2017, 11:00 Uhr
In Erlangen droht neues Flüchtlingsdrama

© Klaus-Dieter Schreiter

Die Unterlagen für Behörden und Betriebe sind vollzählig, die Formulare akkurat ausgefüllt, selbst ein Lebenslauf liegt den Dokumenten bei. Das dazugehörige Foto zeigt Bahar R., einen neugierig in die Kamera blickenden jungen Afghanen, der alles vorweisen kann, was für eine Lehre erforderlich ist: Sein sportliches Engagement beim Erlanger TV 1848 zeigt Fitness und Teamfähigkeit, seine Praktika in verschiedensten Bereichen Interesse und Flexibilität.

Bahar R. ist das, was man gemeinhin als voll integriert versteht, seit Dezember 2016 hat er sogar eine richtige Erlanger Pflegefamilie: Ursula und Klaus Waldmann haben den Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtling (UMF) vom Paten- zum offiziellen Pflegekind gemacht.

Der Heranwachsende lebt gemeinsam mit den beiden in einem Einfamilienhaus am Stadtrand, er hat dort sein eigenes Zimmer und alle erforderlichen Deutsch- und Schulkurse erfolgreich absolviert. "Bahar ist uns wie ein eigener Sohn ans Herz gewachsen", erzählt der Pflegevater. Auch der junge Mann, der seine kriegszerstörte Heimat aus Angst vor Bomben und den Taliban verlassen hat, blickt seine neuen Eltern strahlend an: "Mir gefällt es hier sehr gut", sagt er auf Deutsch, "ich wäre so glücklich, wenn ich bleiben darf."

Das ist der größte Wunsch der kleinen Familie. Daher strebt Bahar jetzt den qualifizierenden Abschluss der Mittelschule an. Ein renommierter Erlanger Handwerksbetrieb, bei dem er als Praktikant war, würde ihn zum 1. September als angehenden Fliesenleger einstellen. Diese Zusage hat der junge Asylsuchende schon seit Wochen in der Tasche. Da die Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wegen einer laufenden Klage nicht bestandskräftig sei, erläutert Waldmann, liege auch kein Grund vor, eine Erlaubnis für die duale Ausbildung zum Fliesenleger zu verweigern. Doch eines fehlt Bahar R: und das ist die Verlängerung seiner Aufenthaltsgestattung und jene Beschäftigungserlaubnis zur Ausbildung, wiesie die "Drei-plus-zwei-Regelung" für Flüchtlinge vorsieht.

Monatelang ist das Ehepaar nun schon mit Behördengängen und Appellen an Politiker beschäftigt, um eine Genehmigung zu erhalten. Der Schriftverkehr, der den Erlanger Nachrichten vorliegt, füllt einen ganzen Ordner. Mehrere E-Mails haben die Pflegeeltern des 16-Jährigen an die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Mittelfranken in Zirndorf geschickt mit der Bitte um Angaben zum weiteren Prozedere. Doch bisher blieben die Anfragen ohne große Antwort.

Ohnehin waren die Waldmanns vom plötzlichen Wechsel der Zuständigkeit mehr als schockiert. Praktisch von heute auf morgen war für die Verlängerung der Aufenthaltsgestattung nicht mehr die Erlanger Behörde zuständig, sondern die ZAB.

Damit geht ein Fall von einer städtischen Behörde, die womöglich weniger streng urteilt, in die Hände der (meist) restriktiveren Ämter des Freistaates über. "Das kann durchaus der Grund für die neuen Zuständigkeiten sein", vermutet Waldmann, der die bayerische Flüchtlingspolitik zum Beispiel bei seinem Engagement im Kirchenasyl oder seinem Einsatz für die ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuung in Erlangen (Efie) mehrfach erlebt hat. Seine Ehefrau Ursula kennt sich als Lehrerin der Wirtschaftsschule von ihrem Umgang mit Flüchtlingen ebenfalls mit deren bürokratischen Problemen aus.

Aber mit solch gravierenden Auswirkungen der vor wenigen Wochen in Bayern geänderten Zuständigkeiten hätte selbst das Paar nicht gerechnet. "Vom Ausländeramt erfolgte bisher leider keine Information an uns, die uns eine Option auf eine verträgliche Lösung für das Kind gegeben hätte", erzählt Waldmann. Stattdessen seien die Unterlagen kurzfristig nach Zirndorf überstellt worden.

Über das Schweigen der Behörde können die Waldmanns nur noch den Kopf schütteln: Frühestens drei Monate vor Beginn der Ausbildung käme die Entscheidung, hieß es. Das wäre zum 1. Juni gewesen, also vor gut einer Woche. Flüchtlingshilfsorganisationen weisen inzwischen darauf hin, dass Behörden die Erteilung und Verschickung von Genehmigungen zunehmend verzögerten, um Abschiebungen zu ermöglichen. Ob das auch bei Bahar R. dahintersteckt, ist unklar.

Fakt ist jedoch die Machtlosigkeit der Betroffenen gegenüber den Behörden. "Ich bin sprachlos", sagt der 58-jährige Ingenieur, "und es macht mich wütend, dass Jugendliche, die einen besonderen Schutz brauchen, diesem Verwaltungsakt hilflos ausgeliefert sind."

Seit langem treiben die Ängste vor einer Abschiebung die Waldmanns und Bahar um. Doch Hoffnung, dass sich alles noch zum Guten wendet, hatten sie bis zuletzt noch immer. Jetzt aber, nach dem umstrittenen Polizeieinsatz in Nürnberg, hat sich ihre Sichtweise verdunkelt.

Die Polizei war kürzlich (wie berichtet) in einem umstrittenen Einsatz massiv gegen eine Sitzblockade von Berufsschülern vorgegangen. Die Jugendlichen wollten ihren Klassenkameraden Asef N. vor einer Abschiebung retten.

"Der Vorgang macht mir und meiner Frau schwer zu schaffen", erzählt Klaus Waldmann, "und lässt uns am Rechtsstaat zweifeln". Auch Bahars Furcht, dass er in sein Herkunftsland zurück muss, wachse täglich. Die Situation nimmt ihn mit, betont der Pflegevater. Es sei für den Heranwachsenden schwer, sich für seine Prüfungen immer wieder zu motivieren.

"Wie können wir ihm erklären", fragt Klaus Waldmann rhetorisch, "dass er mit der Schule und der Integration alles richtig gemacht hat und jetzt dennoch befürchten muss, dass die Polizei vor unserer Tür steht?"

4 Kommentare