"In Erlangen fühlen wir uns wohl und sicher"

20.10.2014, 12:00 Uhr

© Giulia Iannicelli

Die Heimat von Eva Bakharyeva und ihrem Ehemann Sergiy Bakharyen kennt seit dem 17. Juli jeder: Das Paar stammt aus Tores, jener ostukrainischen Stadt, über der offenbar prorussische Separatisten die malaysische Passagiermaschine MH 17 mit fast 300 Menschen an Bord abgeschossen haben. Die Aufnahmen von Leichen- und Wrackteilen erschütterten die Weltöffentlichkeit – und noch mehr die Anwohner selbst.

Auch die Bakharyens haben die Bilder noch im Kopf: „Viele Leute wollten helfen, aber man konnte nicht mehr helfen – denn alle Menschen waren tot“, erzählt die 53-Jährige. An abgeschossene Militärflugzeuge hatten sich die Beiden seit Ausbruch des blutigen Konfliktes gewöhnt, der Anschlag auf ein Passagierflugzeug aber war für die Eheleute neu: „Das schreckliche Ereignis war einer der Hauptgründe, wegzugehen“, erzählt Eva Bakharyeva, „es wurde nur noch geschossen — wir wussten gar nicht mehr von welcher Seite die Angriffe kamen.“ Die politischen Auseinandersetzungen setzten sich in der Bevölkerung fort. Unbeteiligte seien getötet worden, sagt der 54-Jährige: „Freunde wurden plötzlich zu Feinden.“

Selbst in der eigenen Familie — die Mutter aus der Ukraine, der Vater Russe — kam es daraufhin zu Irritationen: „Unsere Kinder wollten auf einmal wissen, wer und was wir nun eigentlich sind“, übersetzt Dolmetscher Amil Sharifos aus dem Russischen. Eva Bakharyeva hingegen spricht Ukrainisch — und auch diese Sätze überträgt der städtische Mitarbeiter ins Deutsche.

Für das Ehepaar, das seit 34 Jahren zusammenlebt, war aber eine gemeinsame Zukunft wichtiger als Fragen der ethnischen oder völkischen Herkunft. Daher entschieden sie sich im Sommer zur Flucht, im zerstörten Tores wollten und konnten sie nicht bleiben, ihr ganzes Hab und Gut nur in zwei Handtaschen gepresst. Nach wochenlangen Irrungen und Wirrungen landeten sie schließlich in Erlangen — in der Notunterkunft am Freibad West. Die Beiden selbst indes wollen nicht von Notunterkunft sprechen: „Wir sind hier sicher und fühlen uns wohl“, sagt Eva Bakharyeva. „Hier kommen Bürgermeister sogar zu Flüchtlingen, bei uns kommen Bürgermeister nicht einmal zu Bürgern.“

Die Kriegserfahrungen haben vor allem Eva traumatisiert, in Erlangen erhält sie notwendige Medikamente und ärztliche Beratung. „Einmal bin ich in der Nacht aufgewacht und zusammengezuckt“, sagt sie, „ich dachte der Krieg wäre zurück.“ Die Motorgeräusche eines Flugzeuges hatten sie in Angst und Schrecken versetzt, sagt sie — und lacht nun bereits über den Zwischenfall. Der wenige Platz in der Flüchtlingsunterkunft, die vielen Menschen, das Warten — all das macht und machte dem Paar nichts aus.

Die Beiden gehen joggen und am Kanal spazieren, haben sich mit anderen Bewohnern angefreundet und freuen sich, wenn sie Kindern beim Spielen zusehen.

Kontakt nach Hause

Vielleicht erinnern die Kleinen das Paar an die eigenen zwei Kinder zu Hause: „Natürlich vermissen wir Sohn und Tochter“, sagt die Mutter. Aber die Kinder würden regelmäßig bei Verwandten in Leipzig anrufen — und diese wiederum im Freibad West Bescheid geben.

Auch Heimweh verspürten Eva und Sergiy, erzählen sie. Gerne würden sie in die Ukraine zurück, aber so schnell, glauben sie, werde sich die Situation nicht ändern.

Nun geht ihre Reise in Deutschland womöglich bald weiter: Ob sie nach ihrer heutigen Registrierung in der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf wieder nach Erlangen zurückkehren, wissen sie nicht, wünschen sich aber nichts mehr als das.

Die Stadt informiert am Freitag, 24. Oktober, 16 Uhr, im Rathaus (Rathausplatz 1) alle Interessierten über die künftige Unterbringung in der Rathenaustraße.

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