Ist das Sport!? So cool ist Hip Hop in Erlangen

23.8.2017, 18:24 Uhr
Linda Nguyen und Cuong Thai beim Training in der Tanzschule.

© Edgar Pfrogner Linda Nguyen und Cuong Thai beim Training in der Tanzschule.

Frau Nguyen, Herr Thai, dieses Interview findet sich auf einer Sportseite. Ist Hip Hop Sport?

Cuong Thai: Wenn du richtig tanzen willst, also alle Teile des Körpers mitnimmst, ist es wie ein Sprint. Solo-Tanzen auf einer Meisterschaft ist wie ein 200-Meter-Sprint.

Linda Nguyen: Es ist natürlich kein reiner Kraftsport, kein reiner Ausdauersport. Was viele unterschätzen ist, was geistig dahinter steckt. Wir wollen die Emotionen zeigen, damit sie beim Publikum ankommen. Ausdruck, Spannung — das lernst du nicht innerhalb von ein paar Wochen. Tanzen ist für mich aber noch viel mehr als Sport, ein Stück weit Kunst.

Es ist aber immer anstrengend, oder?

Nguyen: Für die Schüler, die bei uns anfangen, ja. Deshalb ist es am Anfang wirklich Sport. Für uns ist es mehr Kunst, wenn auch sportlich super anstrengend. Nach der Meisterschaft ist man wirklich fertig.

Thai: Du brauchst grundlegende Fitness, um gut tanzen zu können. Die Bewegungen sind mit der Zeit einfach anstrengend. Mittwochs gebe ich drei Stunden Training, nach diesem Kurs sind die Mädels fix und alle, die können keinen Arm mehr bewegen.

Für Sie ist Tanzen mittlerweile viel mehr?

Nguyen: Ja. Für mich ist es ein Ausgleich zum stressigen Alltag, Träumen mit den Füßen. Manchmal stehe ich auch einfach in meinem Zimmer, wenn ich unter Druck stehe, und versuche die Gedanken heraus zu tanzen, mich fallen zu lassen. Das geht auch im Training, wenn man eine bestimmte Schrittfolge, eine Choreografie tanzt. Man bringt seine eigene Note mit rein.

Thai: Der Tanzlehrer zeigt das Skelett, die Seele bringen die Leute mit rein. Emotionen sind immer dabei.

Nguyen: Wenn Cuong die Musik im Training aufdreht, spüren wir, was er meint. Das ist wie eine Sprache, die man nicht aussprechen muss.

Thai: Wenn ich ein Lied choreografiere, höre ich es mir zuerst an und tanze Freestyle dazu. Ich versuche, die Emotion aus dem Lied herauszunehmen, höre auch auf den Liedtext.

Ist das Sport!? So cool ist Hip Hop in Erlangen

Wie kamen Sie zum Hip Hop?

Thai: Zum Tanzen kam ich durch einen Film, "You Got Served", wirklich angefangen habe ich aber wohl schon mit Michael Jackson. Er ist die größte Inspiration im Leben.

Nguyen: Als Kind hatte ich ungelenke Beine, bin immer über meine eigenen Füße gestolpert (lacht). Meine Eltern haben mich dann zum Ballett geschickt. Da war ich zehn Jahre alt.

Das ist dann schon relativ spät für Ballett.

Nguyen: Ist es, ja. Ich glaube, deshalb habe ich schnell das Interesse daran verloren. Es war mir doch zu steif und zu technisch. Im Alter von zehn Jahren interessiert man sich in der Musik auch nicht mehr für Klassik. So kam es, dass ich in den Hip-Hop-Bereich gewechselt bin. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Düsseldorf. Da habe ich auch angefangen, Formation zu tanzen.

Jetzt wohnen Sie in Erlangen?

Nguyen: Ja, ich studiere hier Psychologie.

Herr Thai, Sie studieren auch?

Thai: Neee. Ich bin Friseurmeister. Ich habe vor neun Jahren die Ausbildung angefangen. Jetzt arbeite ich hier in Erlangen, ich bin der tanzende Friseur.

Kann man vom Tanzen leben?

Thai: Jein. Wenn du eine bestimmte Sparte unterrichtest, geht es meistens nicht. Hip Hop ist gut, wenn man es nebenher macht. Von 100 Tänzern schafft das vielleicht einer, der es hauptberuflich machen kann. Der gibt dann auch Workshops auf der ganzen Welt. In Erlangen gibt es das auch gar nicht. Dafür bräuchte es eine richtig große Tanzschule wie zum Beispiel in München, dafür ist hier kein Bedarf.

Nguyen: Deshalb hat es uns auch so überrascht, dass wir aus Erlangen bei der Deutschen Meisterschaft so erfolgreich waren. Eigentlich kennt man die meisten Tänzer eher aus den Großstädten.

Ist das Sport!? So cool ist Hip Hop in Erlangen

Sie wurden im Duo Vizemeister. Starten Sie immer gemeinsam?

Thai: Es gibt verschiedene Kategorien: Solo, Duo, Small Group, von drei bis fünf Tänzern, und alles, was darüber ist, sind Formationen. Wir sind für Erlangen in mehreren Kategorien angetreten. Ein paar von meinen Jungs haben Solos getanzt, wir als Duo.

Nguyen: Wir hatten eine eigene Formations-Gruppe dabei. Diese gibt es erst seit einem halben Jahr, die Tänzer haben zum ersten Mal Auftritt-Erfahrung gesammelt bei einer solchen Meisterschaft.

Für Sie war es aber nicht das erste Mal, oder?

Nguyen: Als Kind war ich auf Meisterschaften. Aber jetzt sind wir in der Profi-Liga gestartet, weil Cuong mit dem Tanzen Geld verdient. Dann wird man direkt in die Profi-Liga eingestuft. Das habe ich vorher nicht gemacht.

Thai: Ich habe früher Formation getanzt oder im Solo mitgemacht. Man muss aber unterscheiden. Es gibt verschiedene Meisterschaften der Verbände, also auch Meisterschaften, die größer sind als diese Deutsche Meisterschaft.

Welche denn?

Nguyen: Es gibt zwei große Verbände in Deutschland. Einmal das Deutsche Amateur Turnieramt (DAT) und darüber den Taf-Verband. Beide richten Meisterschaften aus. Wir waren bei der DAT.

Thai: DAT bietet nur nationale Meisterschaften an, während Taf internationale anbietet.

Herr Thai, Sie wurden Solo-Meister, Sie als Duo wurden Deutscher Vizemeister.

Thai: Als Solo-Tänzer mache ich meistens einfach mit. Zusammen sind wir hin, um Erfahrung zu sammeln und das Team weiterzubringen.

Nguyen: Wir beide, das war ...

Thai: ... spontan.

Spontan?

Nguyen: Super spontan. Wir haben ein paar Wochen vorher gesagt: Wir könnten mal etwas machen. Also haben wir zehn Tage intensiv trainiert. Vorrangig sollten unsere Kids starten, damit sie die Erfahrung sammeln können. Einfach nur zuschauen wollten wir aber auch nicht, also sind wir angetreten. Dann haben wir bei der Süddeutschen Meisterschaft gewonnen und sind zur Deutschen Meisterschaft gefahren.

Wie stark war die Konkurrenz?

Nguyen: Es ist schwierig, weil man die anderen nicht sieht. Es ist wie bei einem Standard-Tanz-Wettbewerb. Alle tanzen gleichzeitig und bekommen die gleiche Musik. Und du weißt vorher nicht, welche Musik du bekommst. Man hat nur seine Choreografie.

Wie kann man eine Choreografie einüben ohne die Musik zu kennen?

Thai: Jede Musik besteht aus bestimmten Zählungen. Wir Tänzer zählen von eins bis acht. Egal, welches Lied du hast, du kannst es von eins bis acht zählen. Du kannst auf jedes Lied deine Choreografie tanzen, nur schneller oder langsamer.

Dann passt es doch gar nicht richtig zum Lied.

Thai: Das ist ein wenig gambeln. Manchmal hast du ein Lied, das passt perfekt. Du musst die Choreografie aber auch so erstellen, dass sie zu vielen Liedern passt. Schwierig ist es, wenn du eine härtere Choreografie hast und so ein Schnulzen-Lied bekommst — und andersherum.

Wie war es bei der Deutschen Meisterschaft?

Nguyen: Die ersten Runde war okay, die zweite Runde war zu langsam. Dann kommen einige Effekte nicht richtig rüber. Wenn wir die richtige Musik gehabt hätten, wären wir vielleicht auch Erster geworden.

Noch einmal zurück zum Spontanen: Wie schafft man das, wenn man nur kurz vorher das Trainieren beginnt?

Thai: Bei einer Formation muss man länger trainieren. Da müssen sich 20 Leute aufeinander einstellen. Anders ist es, wenn zwei Leute schon länger Hip Hop tanzen. Wir haben uns blind verstanden. Vieles ging automatisch.

Nguyen: Ein Bonus war, dass wir witzige Elemente eingebaut haben in unsere Choreografie. Sachen, die so nicht erwartet werden. Wir haben Schere-Stein-Papier reingebracht. Das war mal etwas anderes.

Thai: Tanzen ist die Interpretation des Lebens. Das heißt, man kann Sachen hineinnehmen. Auch zum Beispiel Schritte vom Baseball, Boxen oder Karate. Wir sind mittlerweile auch in einem Alter, in dem wir sagen: Wir gehen wirklich aus Spaß zu den Meisterschaften. Wir wollen schon etwas reißen, aber vor allem unseren Spaß haben und ein gutes Vorbild für unsere Kids sein.

Wenn Sie abends mal ohne Tanzschüler losziehen: Sind Sie in der Disco die Könige der Tanzfläche?

Thai: Bei mir ist es das Gegenteil. Ich stehe mit einem Getränk am Rand (lacht). Ich habe aufgehört, mit 17, 18 Jahren ein Poser-Typ zu sein. Man beweist den Leuten nicht mehr im Eins-gegen-eins, dass man besser tanzen kann. Früher war das noch anders in der Szene.

Inwiefern?

Thai: Die Discos haben sich verändert, jetzt gibt es mehr Techno, mehr Electro. Wir hatten früher diese Battles, Eins-gegen-eins. Es kam ein gutes Lied, die Leute haben einen Kreis drumherum gebildet. Fünf gegen acht Leute haben getanzt, es ging um die Ehre. Das war schon eine coole Zeit.

Nguyen: Das habe ich selbst nie gemacht. Für mich war tanzen immer sehr intim, sehr emotional. Ich wollte mich damit nie darstellen. Es ist für mich selbst.

Thai: Hip Hop ist ein Lebensstil. Man hört die Musik gerne, hat einen gewissen Kleidungsstil.

Herr Thai, Sie haben Michael Jackson als Vorbild genannt.

Thai: Als ich drei Jahre alt war, hat mir meine Großtante Michael Jackson gezeigt, Musik vorgespielt. Ich habe seither noch ein Poster daheim, das hängt immer noch. Als er gestorben ist, war das schon sehr traurig.

Nguyen: Ich glaube, es gibt kaum einen Tänzer, der nicht geweint hat, als Michael Jackson gestorben ist.

Keine Kommentare