Julius Hackethal im Streit mit der FAU Erlangen

21.4.2016, 18:30 Uhr
Julius Hackethal im Streit mit der FAU Erlangen

© Archivfoto: Rudolf Contino

Professor Gerd Hegemann, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik von 1955 bis 1977, sprach von einem „infamen Verleumdungsfeldzug eines Schülers gegen seinen Lehrer, der einmalig in der Geschichte der Medizin ist“. Er meinte damit den Konflikt mit seinem Oberarzt Prof. Julius Hackethal, der als „Erlanger Professorenstreit“ in die deutsche Krankenhaushistorie eingegangen ist.

Hegemann selbst war es gewesen, der Hackethal nach Erlangen geholt hatte: damals noch bezeichnet als „guter Arzt und tatkräftiger Mann mit einem sauberen klaren Charakter, menschlich absolut zuverlässig“. Die beiden arbeiten sieben Jahre bestens zusammen, bis es im November 1963 zum Eklat kam: Als Hegemann einen neuen leitenden Oberarzt ernannte, blieb Hackethal außen vor – und rächte sich mit beleidigenden Angriffen gegen seinen einstigen Förderer.

Hackethals Vorwürfe waren massiv. Er bezichtigte Hegemann, Kunstfehler in größerer Zahl begangen zu haben, hielt ihn in aller Öffentlichkeit für nicht zurechnungsfähig und erstattete schließlich als Gipfel der Auseinandersetzung Anzeige wegen Mordes und Menschenversuchen. Assistenten Hegemanns, die sich hinter ihren Chef gestellt hatten, wurden von Hackethal als „Mordhelfer und KZ-Ärzte“ gebrandmarkt. Der Streit eskalierte so weit, dass beide Akteure – weil sie sich bedroht fühlten – bei der Stadtverwaltung einen Waffenschein beantragten. Den sie allerdings nie erhielten . . .

Die Medien, vornehmlich die Boulevardpresse, griffen den Streit (etwa „Krieg an der Erlanger Uni“ in der Illustrierten Quick) genüsslich auf und schlugen sich – vorschnell, wie sich zeigte – mehrheitlich auf die Seite Hackethals. Sie vermittelten den (falschen) Eindruck, dass innerhalb der rigiden Machtstrukturen einer hierarchisch gegliederten Klinik ein tüchtiger Mitarbeiter von einem möglicherweise nicht ganz so fähigen Chef in seine Schranken gewiesen würde – immer wieder munitioniert mit ständig neuen Vorwürfen Hackethals.

Der Streit kratzte natürlich am bis dahin so positiven Image der Erlanger Chirurgie. Potenzielle Patienten fühlten sich verunsichert, ließen sich an anderen Kliniken operieren, was den Berufsverband der bayerischen Chirurgen auf den Plan rief. Er sah das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient schwer geschädigt und das Ansehen der Uni-Klinik und seiner Ärzte gefährdet.

Inzwischen stand der Rektor der Erlanger Universität, Götz Freiherr von Pölnitz, mit dem zuständigen Kultusminister Theodor Maunz in München in ständiger Berichtspflicht. Und langsam klärte sich der Nebel, den Hackethal erzeugt hatte – verursacht auch durch den Versuch, Studenten und Patienten zum Teil mit dem Angebot von Bargeldzahlungen auf seine Seite zu ziehen. Als Hackethal das Kultusministerium mit seinen Vorwürfen befeuerte, erreichte den Minister einige Stunden später eine Resolution sämtlicher Ärzte der Hegemann-Klinik.

Voll rehabilitiert

Die zentrale Aussage, so berichtete der Spiegel: Wenn Hackethal nicht noch am gleichen Tag aus allen Bereichen der Klinik entfernt werden sollte, dann werde die halbe Hundertschaft der Erlanger Chirurgen ihre ärztliche Tätigkeit auf die Durchführung eines Notdienstes beschränken.

Damit war die Wende eingeläutet. Jetzt erhielt Hackethal ein Dienststrafverfahren wegen Beleidigung, Nötigung und Störung des Operationsbetriebs. Die Medizinische Fakultät sprach Hegemann ihr Vertrauen aus und stellte einen Antrag auf vorläufige Dienstenthebung Hackethals und Widerruf für dessen Lehrbefugnis. Dem kam der Senat der FAU mit Zwei-Drittel-Mehrheit nach und Hackethal wurde seines Amtes als Oberarzt enthoben.

Hegemann dagegen wurde voll rehabilitiert. Nicht nur namhafte Chirurgen von auswärts entlasteten ihn von den Anschuldigungen, Sachverständige und Staatsanwälte sahen die Verdächtigungen als widerlegt, nichtig und haltlos. Schließlich gab auch Hackethal klein bei. Er entschuldigte sich beim Rektor der Universität und widerrief am 25. Juni 1964 schriftlich sämtliche Vorwürfe gegen Hegemann.

An Gerd Hegemann (1912-1999) erinnert man sich an der Erlanger Chirurgie noch heute mit großer Hochachtung. Er verschaffte der Klinik eine bundesweite Spitzenstellung, wobei er seine Fachdisziplin als transdisziplinär ausgerichtet vertrat, mit internistischen Handlungsfeldern im Blick. Er gründete 1969 eine Abteilung für Klinische Pathologie – eine im deutschsprachigen Raum einmalige Einrichtung. Er gilt als Vorreiter der Bypass-Chirurgie in Deutschland und baute die spezielle Herzchirurgie in Erlangen auf.

Julius Hackethal (1921-1997) dagegen blieb sich treu, kritisierte – wo er nur konnte – die Schulmedizin und trat in den 80er Jahren für die aktive Sterbehilfe ein. Unvergessen ist das bundesweite Aufsehen, als er im April 1984 einer Patientin – natürlich unter Einschaltung der Medien – das tödliche Gift Zyankali bereitstellte. 1986 verkündete er, er habe das Krebsproblem gelöst.

Nach Erscheinen des Artikels dachte man in der Medizinischen Fakultät kurzfristig daran, Hackethal wegen der Verbreitung „von gravierendem wissenschaftlichem Unsinn“ den Professorentitel zu entziehen, ließ dann aber von dem Vorhaben ab. Zum 25-jährigen Jubiläum der von Hacke-thal gegründeten Schule für Krankenpflege im Jahr 1983 wurde Julius Hackethal allerdings bewusst nicht eingeladen.

Erlangens Chirurgie hat sich vom Professoren-Streit inzwischen längst erholt und gilt – auch und gerade durch die international gerühmte Tätigkeit des letzten Klinikdirektors Prof. Werner Hohenberger, der die Chirurgie in den letzten 20 Jahren geleitet hat – wieder als medizinisches Spitzeninstitut in Deutschland.

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