Liebe in Zeiten der Neonazis

8.3.2012, 00:00 Uhr

Mit bedrückendem Realismus schildert der Autor eine Jugend, der allzu früh Unschuld und Leichtigkeit abhanden gekommen sind. Im Zentrum der Handlung steht Albin O., ein angehender Altenpfleger und politisch engagierter Punk. Er träumt von einem selbstbestimmten Leben und von einer Gesellschaft, in welcher der Mensch dem Menschen ein Helfer ist.

Er ist entschlossen, für die Verwirklichung seiner Träume zu kämpfen, doch es gelingt ihm nicht, die dabei unvermeidlichen Niederlagen zu verkraften. So beginnt er eines Tages seine Enttäuschung und seinen Frust mit allerlei chemischen Substanzen zu betäuben. Ein Weg, der ihn rasch an den Rand der Selbstauslöschung führt. Albins Leben wird zum permanenten Horror-Trip, bis ihn der Selbstmord einer Freundin derart ernüchtert, dass er einer sechsmonatigen Therapie in einem ländlichen Rehabilitationszentrum zustimmt.

Schikaniert und ausgegrenzt

Zu seinem Entsetzen entpuppen sich dort aber die meisten anderen jugendlichen „Klienten“ als mehr oder minder beinharte Neonazis, die ihn als bekennenden linken Antifaschisten nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Er wird von Anfang an schikaniert und ausgegrenzt, seine krankhafte Niedergeschlagenheit wächst, erneut ist er kurz vor dem Aufgeben.

Doch dann stellt sich glücklicherweise heraus, dass er nicht so allein ist, wie er meint. Eine sich nach und nach entwickelnde Beziehung zur jungen Therapeutin Nina bewahrt Albin letztlich nicht nur vor der endgültigen Kapitulation, sondern reaktiviert auch — zumindest ansatzweise — seinen Glauben an die Möglichkeit von Liebe und Solidarität.

Trotz dieser versöhnlichen Töne ist der Roman mehr als eine politisch korrekte Erbauungsgeschichte mit eindeutiger Moral. Am Beispiel von Albins Umfeld zeigt Leonhard F. Seidl etwas von dem Chaos, das unter der glatten, auf Hochglanz polierten Oberfläche unseres Alltags brodelt. Er vermittelt eine Ahnung von der Existenz einer Parallelwelt, in der Angst, Hilf- und Perspektivlosigkeit, aber auch heillose Wut die Menschen beherrschen. Das ist das Milieu, in dem dumpfer Rassismus und faschistoide Gewalt gedeihen.

Seidl glaubt an Alternativen. Er wirbt mit seinem Buch um Verständnis und Sympathie für alle, die wie Albin aus jenem Dunkel (manchmal buchstäblich „um jeden Preis“) heraus wollen. Deren Bemühungen sind ein Zeichen der Hoffnung, auch wenn die zum Ziel der Befreiung eingeschlagenen Wege nicht selten in die Irre führen.

Leonhard F. Seidl: Mutterkorn, Kulturmaschinen Verlag Berlin, 163 Seiten, 14,90 Euro.
 

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