Medienbildung muss Schulfach werden

3.3.2015, 18:59 Uhr
Medienbildung muss Schulfach werden

© Foto: Reinhold

Frau Schiffer, warum ist Medienkompetenz heute so wichtig?

Sabine Schiffer: In einer demokratisch verfassten Gesellschaft ist es besonders wichtig, Meinungsbildungsprozesse zu reflektieren. Und Medien strukturieren nicht unerheblich unsere Wahrnehmung des Weltgeschehens. Sie können ja nicht 1:1 abbilden, sondern wählen aus, kombinieren die einzelnen Aspekte, geben ihnen eine Reihenfolge in der Darstellung, müssen oft auch Wichtiges weglassen. So entsteht ein Eindruck, der aber häufig mit der Realität verwechselt wird. Hierfür gilt es mehr Bewusstsein zu schaffen sowohl für Medienschaffende wie auch für Mediennutzende.

Wie kommt jetzt das IMV hier ins Spiel?

Sabine Schiffer: Das IMV hat sich zur Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Erkenntnisse in die öffentliche Debatte zu bringen, damit sie nicht im Elfenbeinturm versauern. Wir schulen sowohl Journalisten in Fortbildungen etwa die eigenen subjektiven Auswahlprozesse zu reflektieren, die Ordnung, die man den Dingen oft unbewusst gibt – wer hat angefangen, wen halte ich für repräsentativ, wen für eine Ausnahme, warum? Und in Fortbildungen für Lehrkräfte und Schüler geht es zudem noch um die Dekonstruktion von Medienbildern. Mit der Auswahl eines Begriffs zur Beschreibung eines Sachverhalts wirft man ja schon eine Perspektive auf diesen – das gilt es zu erkennen und die Wahrnehmung für die jeweilige Konstruktion einer Darstellung zu schärfen. Dazu gehören noch Montagetechniken in TV und Print, aber auch Wissen über Medienberufe, Medienkonzerne, Nachrichtenwege, Agenturjournalismus und die Folgen des sich ausdünnenden Korrespondentennetzes. Das Internet erweitert das Aufgabenfeld, nicht nur in Sachen Datenbewusstsein und Mobbingerfahrungen. Die Quellenprüfung wird zum Beispiel oft vernachlässigt.

Die Vermittlung von Medienkompetenz ist aber nicht der einzige Arbeitsbereich des IMV.

Sabine Schiffer: Richtig. Wir erstellen auch Gutachten oder führen qualitative Medienanalysen durch – zuletzt zur Ukraine-Berichterstattung. Seit einigen Jahren richten wir den Fokus auf die Fünfte Gewalt, das heißt die PR- und Lobbyarbeit großer Konzerne oder Think Tanks, die Medien als Vehikel für ihre Verkaufs- oder andere Propagandabotschaften sehen.

Das Studium von PR-Techniken ist übrigens sehr fruchtbar, um Darstellungen kritisch lesen und bewerten zu können, denn das erlaubt solche Strategien sofort zu erkennen und nicht erst nachdem sie gewirkt haben.

Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Müsste da nicht der Erwerb von Medienkompetenz schon früh stattfinden und zum Beispiel in den Lehrplänen der Schulen verankert sein?

Sabine Schiffer: Sie sprechen mir aus der Seele. Ja, genau. Wir brauchen dringend einen systematischen Lehrplan für Medienbildung, ein entsprechendes Schulfach und evaluiertes didaktisches Material. Aber die Zeichen der Zeit scheinen auf Wirtschaftskooperation zu stehen. Das ermöglicht einer zahlungskräftigen IT-Branche mittels PR die Meinung zu verbreiten, man müsse nur die Schulen mit Computertechnik ausrüsten, dann würde sich die Bildung praktisch automatisch verbessern. Das ist mitnichten so und fahrlässig.

Ein weiterer Bereich des IMV ist die „Unterstützung“ von Journalisten bei der Recherche. Das klingt wie ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Presse. Wie unabhängig sind Sie eigentlich bei der Zusammenstellung von Links und Informationen, die Sie Journalisten zur Verfügung stellen?

Sabine Schiffer: Wir greifen ja nicht ein. Wir bieten etwas an, was ausdrücklich gewünscht wurde. Ob man es dann überhaupt genutzt wird, liegt ja im Ermessen der Kollegen. Das ist auf unserer Website nachvollziehbar und kann überprüft werden. Journalisten beklagen, dass ihnen die Zeit für die Recherche alternativer Informationen fehlt. Daran darf es aber doch nicht liegen, dass bestimmte Fakten unter den Tisch fallen. Und diese Fakten sammeln, prüfen und ergänzen wir, wenn uns Neues zugetragen wird – allerdings fehlen uns oft die Mittel, um immer aktuell zu sein. Wir haben zum Thema Medienbildung, Umwelterhalt und Rassismus ebensolche Linklisten angelegt.

Die Glaubwürdigkeit von Medien wird in letzter Zeit immer häufiger in Frage gestellt. Auf Demonstrationen wie der Pegida in Dresden macht sogar das Un-Wort von der Lügenpresse die Runde. Welche Erfahrung mit einem möglichen Glaubwürdigkeitsverlust in den Medien haben Sie in Ihrer Arbeit gemacht?

Sabine Schiffer: Auch dagegen versuchen wir zu steuern, weil Pauschalurteile immer falsch sind. In der Tat nimmt die Skepsis vieler Menschen zu, vor allem am Beispiel Ukraine-Russland fällt uns das auf. Und das finden wir eigentlich erstaunlich, weil es oft Menschen sind, die sich gar nicht mit Medien befasst haben, denen aber eine extrem einseitige Ausrichtung auffällt. Das mag manchmal überzogen sein und bewusste Manipulationsabsichten zu unterstellen, ist oft ein Reflex. Aber es sollte auch zur Hinterfragung anregen, wie es auch der ARD-Programmbeirat gefordert hat. Allerdings stellen wir fest, dass etwa in den Stellungnahmen zur Kritik auf dem Internet-Blog der Tagesschau den Zuschauermeinungen eher Hohn gesprochen wird. Im IMV haben wir die Befürchtung, dass die Medien – das trifft weniger auf die Lokalberichterstattung zu – auch darum immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren, weil sie zu sehr wie eine Blackbox arbeiten und das Publikum zu wenig ernst nehmen. Mehr Transparenz für das Entstehen des Medienproduktes, mehr echte Mitbestimmung etwa von Beitragszahlern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, mehr Vielfalt bei den Themen und Personen, die behandelt werden, ist erforderlich. Und dann lässt sich auch kommunizieren, dass ein guter unabhängiger Journalismus nachhaltig finanziert werden muss.

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