Mit Leiterwagen von Böhmen nach Bubenreuth

31.12.2015, 06:00 Uhr
Mit Leiterwagen von Böhmen nach Bubenreuth

© Christian Hoyer

In der Nachkriegszeit avancierte Bubenreuth zu einem Paradebeispiel für gelungene Integration. Daher wollte ein Nürnberger ein besonderes Erinnerungsstück aus seiner Familie im Bubenreuther Museum sehen. Der Fluchtwagen von 1945, der in der Familie gehütet wird, ist nun in Bubenreuth zu sehen.

Was mag in Frau Hahnel vorgegangen sein, als sie sich im September 1945 mit ihren zwei Kindern und einem Leiterwagen auf die Flucht begab? Ihr Gatte Waldemar Hahnel war ein gemachter Mann: Der 39-Jährige führte sein eigenes Geschäft, eine etablierte Metzgerei in dem kleinen, aber prosperierenden Vorort Aussigs. Die Zukunft für sich und seine Familie schien gesichert.

Der Zweite Weltkrieg veränderte alles. Fleischermeister Hahnel musste zur Wehrmacht und wurde Soldat. Am Ende des Krieges wurden durch die Benesch-Dekrete alle Deutschen im Lande enteignet. Die Ausweisung der in der Tschechoslowakei beheimateten Deutschen war von den Alliierten beschlossen worden und für 1946 avisiert. Wenige Wochen nach Kriegsende hatte in Aussig ein Massaker an der deutschen Zivilbevölkerung stattgefunden, dem auf der Elbebrücke im Juli 1945 mindestens 100 Menschen zum Opfer fielen.

In ihrer Heimat sah die Frau von Fleischermeister Hahnel daher keine Zukunft für sich und ihre Familie mehr. Ein Jahr später würden weitere drei Millionen Sudetendeutsche vertrieben werden. Frau Hahnel nahm das Schicksal der Vertreibung vorweg und floh im September 1945. Über den Erzgebirgskamm führte sie der Weg zusammen mit ihren Kindern zunächst nach Sachsen.

Doch ihr Bestimmungsort war „Erlangen/Oberfranken“, wie auf einem Dokument aus dem Jahr 1945 zu lesen ist. Denn dorthin, zu einem Freund, wollte sich auch Waldemar Hahnel aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen lassen. So war es ausgemacht. Und hier fand sich die Familie tatsächlich wieder zusammen. In Franken konnte die Familie langsam Fuß fassen und sich nach und nach eine neue Existenz aufbauen.

70 Jahre nach der Flucht ist der Wagen voll mit Geschichte und Erinnerung nun den Museumsmachern in Bubenreuth übergeben worden. Herr Schobert aus Nürnberg hat damit den letzten Willen seiner Frau, der Tochter von Fleischermeister Hahnel, erfüllt. Hier soll der Wagen dauerhaft an das Schicksal von Flucht und Vertreibung erinnern. Er soll helfen, das Verständnis dafür aufzubringen, warum sich Menschen aus reiner Not auf den Weg machen. Denn auch heute kommen wieder Menschen in Not, die Zuflucht suchen.

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