Ohne zu sehen: Ein blinder Bogenschütze in Erlangen

17.7.2018, 18:00 Uhr
War bei der Offenen Bayrischen Meisterschaft Para-Bogensport dabei: Sebastian Kollarek.

© Anja Hinterberger War bei der Offenen Bayrischen Meisterschaft Para-Bogensport dabei: Sebastian Kollarek.

Wer keinen Sonnenschutz dabei hat, verliert. In der Glut von Uttenreuth sitzt Sebastian Kollarek auf seinem Faltstuhl, geschützt vor den Strahlen durch einen Schirm, eine Sonnenbrille auf der Nase. Ein doppeltes Hupen ertönt, der Junge greift zu seinem Bogen, zieht den Pfeil auf und feuert. Blauer Kreis. Noch fünf weitere Pfeile im Köcher, fünf weitere Chancen, per Feinjustierung die Zielgenauigkeit zu verbessern. Keine leichte Aufgabe. Sebastian Kollarek ist fast blind.

95 Prozent seiner Sehfähigkeit hat er eingebüßt, die Mitte seines Blickfelds ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem großen, blinden Fleck geworden, an dessen Rand er noch ein wenig von der Welt erkennt. Woran das liegt, Familie Kollarek weiß es nicht genau. Es scheint diverse Ursachen für diese Augenerkrankung zu geben.

Das Bogenschießen, seinen sportlichen Kindheitstraum, wollte Sebastian Kollarek deshalb jedoch nicht aufgeben. "Dann haben wir eben nach einer Lösung gesucht und sind auf das Stativschießen gekommen", sagt er locker. Seitdem ziert seinen Platz in jeder Meisterschaft, an der er teilnimmt, ein Kamerastativ — ohne Kamera, dafür mit einem Knopf an der Seite, anhand derer er sich seine Handposition sucht. Und einer Schienenkonstruktion am Fuß des Gestells, die seine konstante Standposition gewährleisten soll.

"Wo war der letzte Pfeil noch einmal?", fragt er seinen Vater, der bei den Wettkämpfen dabei ist, beim Aufbau hilft. "In der rechten Hälfte", entgegnet dieser. Dann beginnt die Maßarbeit. Eine winzige Verschiebung in der Ausgangsposition kann das Ziel des Pfeils um Meter versetzen.

Ohne zu sehen: Ein blinder Bogenschütze in Erlangen

© Fotos: Anja Hinterberger

Deshalb sucht Sebastian Kollarek mit seiner Hand jedes Mal aufs Neue den Punkt zwischen Mittel- und Ringfinger, von dem aus seine Trefferquote am höchsten ist: "Ich versuche, immer denselben Punkt zu treffen. Das klappt nicht immer, dann verschieße ich halt einmal. Es ist schon ziemlich schwierig."

Bei der Offenen Bayerischen Meisterschaft des Para-Bogensports ist von dieser scheinbaren Unsicherheit ob der Schwierigkeit nichts zu sehen. Auch mediale Präsenz scheint den 14-Jährigen in der Mittagshitze kalt zu lassen. Keine Spur von Nervenflattern, nicht einmal, als die EN-Fotografin ankündigt, ihn nun beim Schuss abzulichten. Humorlos jagt er den Pfeil Richtung Zielscheibe, der am inneren Rand des roten Bereichs einschlägt und Gold nur um Millimeter vepasst. Fehlt nur noch ein Schulterzucken.

Diplomatisch, geradezu cool gibt er sich im Gespräch zu seiner Geschichte, schildert geduldig und detailliert, was er sieht, wie er seinen Alltag bewältigt. "Unauffällig" trifft es wohl am besten. Die größten Probleme, so sagt Sebastian Kollarek, hat er beim Lesen und beim Erkennen von Tafelbildern. Dennoch: "Für mich fühlt es sich noch nach ziemlich viel an, aber es sind halt ‚nur‘ fünf Prozent Sehfähigkeit."

Die Orientierung hingegen bereitet ihm keine Schwierigkeiten, an einen Blindenstock oder Hund denkt er nicht einmal. Selbst seine Trainerin Inge Enzmann ist schwer beeindruckt von den Leistungen, die der 14-Jährige auf den Platz bringt, da "man bei dem Restsehvermögen normalerweise nicht davon ausgehen kann, dass er überhaupt die Scheibe trifft".

Tut er aber. Und scheut sich deshalb auch nicht vor Ambitionen. Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass ein Mitglied des Erlanger Bogensportvereins um Medaillen kämpft, in Rio war der BSV mit einem Schützen vertreten. Sebastian Kollarek will nichts ausschließen, antwortet fast schon gewohnt abgezockt auf die Frage nach seinen möglichen sportlichen Zielen: "Bestenfalls werden es natürlich die Paralympics. Aber schauen wir erst einmal, wie sich das entwickelt." Und wieder fehlt eigentlich nur ein Schulterzucken.

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