Pfiffige Ideen machten in Erlangen Lust auf Politik

10.9.2018, 11:00 Uhr
Pfiffige Ideen machten in Erlangen Lust auf Politik

© Harald Sippel

Von einem solchen Interesse kann so manche politische Partei und Organisation wohl nur träumen: Mehrere Stunden herrscht am Stand des Ratschlags für soziale Gerechtigkeit reges Treiben – und das bei schönstem Café-Wetter und zur besten Samstags-Einkaufszeit.

Doch die Mitstreiter des bunten Bündnisses, das sich aus dutzenden gewerkschaftlichen, kirchlichen, parteipolitischen Gruppen und Wohlfahrtsverbänden zusammensetzt, ließen sich für ihre Info-Veranstaltung am Hugenottenplatz auch etwas höchst Originelles einfallen: Eine schnell zusammengebaute Minihütte aus Latten und Plastikfolie ist mit zwei Schaufensterpuppen der Blickfang schlechthin.

Passanten bleiben stehen

Die Botschaft, die die Figuren auf Schildern vermitteln, ist klar: Mit ihrem Einkommen können viele in Erlangen die Mieten nicht mehr bezahlen. So einfach und zugleich verständlich war das Problem Wohnungsnot bisher selten dargestellt.

Immer wieder bleiben Passanten stehen, betrachten das Häuschen mit einer Fläche von zwölf Quadratmetern und kommen mit den "Ratschlag"-Engagierten ins Gespräch. Die Aktion kommt an. Soziale Themen wie mangelnder preisgünstiger Wohnraum und die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit brennen auch den überdurchschnittlich gut verdienenden Erlangern auf den Nägeln.

"Wir wollen zeigen, wie die Wohnsituation bei uns aussieht, aber auch Wanderarbeiter und Flüchtlinge noch heute in verschiedenen europäischen Ländern leben müssen", erklärt Bernd Schnackig, Diözesansekretär beim Erzbistum Bamberg und Mitglied des "Ratschlags". In Erlangen könnten sich ebenfalls immer weniger Normalverdiener eine Wohnung leisten, auch weil die Bundesregierung mehr und mehr zur "Verarmung" der Menschen mit beitrage. Das Netzwerk möchte daher das Bewusstsein schärfen, dass es Drängenderes gebe als permanentes Schielen nach Renditen, meint Schnackig. "Eine Lösung", sagt er, "werden aber auch wir heute nicht präsentieren können".

Doch ganz ohne Forderung oder Ratschlag will der Zusammenschluss nicht bleiben: Fast alle der mehr als 40 Mitglieder des Netzwerkes befürworten eine Entwicklungsmaßnahme für das geplante Baugebiet "West III" und empfehlen, beim Ratsbegehren am 14. Oktober mit "Ja" zu stimmen. Mit ihrem Kreuz entscheiden die Bürger darüber, ob die vorbereitende Untersuchung für ein neues Stadtviertel im Stadtwesten zwischen Büchenbach und Steudach (Erlangen West III) weitergeführt wird oder nicht.

"Wir wollen wissen, was geht und was nicht geht und sehen eine ergebnisoffene Analyse dafür als wichtige Voraussetzung an ", erläutert Wolfgang Niclas, der "Ratschlag"-Sprecher und zugleich Erlanger DGB-Chef ist. Der Beschluss müsse Vorteile für alle bringen: "Wir wollen, dass es denen, die schon hier sind ebenso besser geht wie jenen, die neu hinzukommen."

Die CSU unterstützt den "Ratschlag", aber nicht die West-III-Initiative. Einer ihrer führenden Politiker, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, steht gleich nebenan und stellt sich den Fragen der Bürger. Bis vor wenigen Monaten war der in Erlangen lebende Ressortchef auch zuständig für den Bereich Bau, ist also mit dem Thema und den hiesigen Verhältnissen bestens vertraut.

Hat der Freistaat durch zu wenig sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit nicht Mitschuld an der Misere? "Vor zehn Jahren war die Lage entspannt, da gab es kaum Nachfrage", antwortet Herrmann. Durch verstärkten Zuzug von Menschen aus anderen Bundesländern habe sich das in Bayern geändert. Die Staatsregierung trage dem Rechnung, indem sie die Fördermittel für sozialen Wohnungsbau erhöht habe. So unterstütze der Freistaat etwa das Wohnprojekt der Gewobau an der Brüxer Straße.

Und die Aufhebung der sozialen Bindung etlicher Wohnungen? "Formell" sei das zwar der Fall, doch de facto vermieteten die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ihre Objekte zu denselben günstigen Bedingungen wie vorher, so der Minister.

Appell an jeden Einzelnen

Wer wohnt, (ver-)braucht auch Energie. Je weniger, desto besser ist es fürs Klima. "Jeder kann etwas tun", ruft Stefan Jessenberger, der Erste Vorsitzende des Vereins "Energiewende ER(H)langen", wenig später auf dem Schlossplatz vor rund 200 Zuhörern ins Mikrofon.

Dutzende Menschen, darunter etliche Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Universität und Umweltverbänden, bekennen sich bei der Aktion "Rise For Climate" mit ihrer Unterschrift auf einem Banner zu mehr Umwelt- und Klimaschutz. Das sei eine gute Bilanz, sagt Mitorganisator Jessenberger am Ende: "Ich bin mehr als zufrieden."

 

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