Pianistischer Sänger

7.12.2010, 22:48 Uhr
Pianistischer Sänger

© privat

Das gut besuchte Konzert im schlichten, adventlich geschmückten Kirchenschiff von St. Markus dürfte im Rahmen der „BachAgenda 2010“ den Höhepunkt bilden.

Schmidt wies mit seiner Programmgegenüberstellung Bach-Liszt bereits auf das zweihundertjährige Liszt-Jubliäum 2011 hin. Den beiden Liszt-Transskriptionen war jeweils eine Bach-Partita vorangestellt. David Theodor Schmidt macht bei seinem Spiel kein Aufheben von seiner Person: Er kommt freundlich lächelnd, verneigt sich knapp in alle Richtungen, setzt sich an den Flügel und beginnt unmittelbar, bleibt angenehm gelassen im Gestus, egal was da zu meistern ist. Das wirkt sympathisch, verblüfft gleich zu Beginn bei den prä- und postludierenden Passagen der „Toccata“ der sechsten Partita. In der dreistimmigen Fuge horcht er die motorische Motivik artikulatorisch weich aus, steigert die Einsätze, setzt souverän die große Klammer um den Satz.

Mit eleganter Nonchalance spielt er die Punktierungen der „Allemande“, setzt die Synkopierungen der „Corrente“ leichtlebig in beredte Zwiesprache zur trockenen Basslinie. Schmidt bekennt sich – auch bei Bach – zum Farbenspiel, das ihm der moderne Konzertflügel zur Verfügung stellt: Viel Pedal bestimmt die fast impressionistisch erscheinende „Sarabande“. Bach wirkt so wieder unglaublich modern, die Akkorde meditieren neben den figuralen Girlanden freier Fantasie. Fesselnd. Selbst in der septimenzerrissenen „Gigue“ achtet Schmidt bei aller kontrapunktischen Strenge auf Sanglichkeit. Es funktioniert, ohne in softige Banalität abzu-gleiten.

Der französische Komponist Claude Debussy empfahl allen Kollegen, zu Bach zu beten, „damit er sie vor Mittelmäßigkeit bewahre“. Franz Liszt hat offenbar viel gebetet, oder lag es an der Interpretation, mit der David Theodor Schmidt die Klavier-Trans-skription von „Präludium und Fuge“ in a-moll (BWV 543) anging?

Bereits den Beginn stellte der Erlanger mit runder Volltönigkeit in den Raum, zaubert verhaltene Piano-Abschnitte in die Fuge, donnert – selbst bei den liszttypischen Bassoktavierungen – nie gewaltvoll, sondern klangschön, kulminierend im Orgelpunkt mehr als eine Orgelimitation. Auch nach der gemütlichen Pause im Kirchenvorraum greift Schmidt in Bachs erster Partita den sanglichen Faden wieder auf. Alles klingt hell, freundlich in diesem B-Dur-dominierten Zyklus. Federleichte Klangeleganz liegt über der „Corrente“. Verhaltene Register prägen Schmidts Erzählstil in der „Sarabande“. Fast zu eloquent nutzt er die Pedalmöglichkeiten im „Menuet“. Hellsichtiges Drängen mit beredten Vorhaltseufzern bestimmt eine leichtgängige „Giga“.

Rauschhafte Ekstase

Liszt hat nicht nur zu Bach gebetet, sondern selbst ein Gebet für Bach verfasst: In den „Variationen zum Motiv aus „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“, auch Grundlage für das „Crucifixus“ der h-Moll-Messe, war dies zu erfahren. Vom ersten Ton an breitet sich hier in geheimnisvoller Mystik die Bach-Chromatik aus bis hin zur rauschhaften Ekstase bei der Augmentation der Kernmotivik. Die typisch listz’sche Virtuosenfärbung glomm auf, wurde aber von der ergreifenden rezitativischen einstimmigen Kantilene und den tristanartigen Harmonierückungen abgelöst. Die tieftraurige Chromatik des Bach-Zitats im Grundduktus von Werk und Interpretation war von erschütternder Wahrhaftigkeit. Schlicht setzt Liszt am Schluss unter das persönliche „Requiem“ für seine verstorbene Tochter den demütigen Choral „Was Gott tut, das ist wohl getan“: Schmidt beginnt schlicht, brilliert volltönend bis hin zur Apotheose des „Cantus firmus“ mit theatralischem Bass-Tremolo.

Viel kultivierter Pathos erklang in diesem kompositorisch höchst subjektiven Bach-Zugang. Nach solch’ tiefgreifender Auseinandersetzung mit dem musikalischen Gott-Vater, beruhigte Schmidt in seiner ergreifend unprätentiös gespielten Bach-Busoni-Zugabe des „Ich ruf’ zu dir Herr Jesu Christ“ die Gemüter. Das innerliche Rufen ereignet sich bei Schmidt auch hier so klar kantabel, weil sich der Interpret im fast ritardandofreien Dur-Abschluss des musikalischen Aussagegehalts von Bachs Musik gewiss ist. Der Prophet weiß um seine Rolle als ernsthafter Verkünder.