Präsident des Zentralrats der Juden in Erlangen

22.7.2017, 19:00 Uhr
Präsident des Zentralrats der Juden in Erlangen

© Harald Sippel

In Josef Schusters Biografie findet man vergleichbare Schicksale, wie sie Millionen Familien erleiden mussten, die im Dritten Reich der Willkür fanatisierter und mordender NS-Rassisten ausgeliefert waren: die Großeltern in Auschwitz vergast, die Eltern, deren Stammbaum sich väterlicherseits bis Mitte des 16. Jahrhunderts in Unterfranken zurückverfolgen lässt ("Mir muss niemand die deutschen Werte vermitteln"), ins heutige Israel emigriert. Josef Schuster selbst wurde 1954 in Haifa geboren. Und doch kehrte die junge Familie zwei Jahre später nach Deutschland zurück. Heute amtiert Schuster, Internist mit eigener Praxis und BRK-Notarzt in Würzburg, als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Als Gast des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann – der in einer mehrmonatigen Gesprächsserie zuvor den ehemaligen Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, sowie den Vizepräses der Synode der evangelischen Kirche in Deutschland, Günther Beckstein, vorgestellt hatte – skzzierte Schuster im "Kreuz + Quer – Haus der Kirche" in Erlangen die aktuelle Situation der Juden in Deutschland.

"Unsere Koffer sind ausgepackt, unser Platz ist in Deutschland", fasste Schuster am Ende zusammen – nicht ohne vorher manche Sorgen seiner Glaubensgeschwister offenbart zu haben. Nach dem Krieg war den meisten Überlebenden der Shoah, des millionenfachen Völkermords, eine Zukunft in der Heimat nicht vorstellbar gewesen. Erst seit den 90er Jahren fühlen sie und ihre Nachkommen sich wieder als Teil der Gesellschaft. Und doch hat sich in jüngster Zeit ein Gefühl der Unsicherheit breitgemacht, "die Warnblinker melden sich wieder häufiger, man wird sensibler bei einem Husten, wenn man eine Lungenentzündung hinter sich hat".

Woraus schöpfen sich die Ängste? Schuster sieht einen israel-bezogenen Antisemitismus, die Juden in Deutschland würden für kritikwürdige Entscheidungen in Israel "in Haftung genommen". Wenn tendenziöse Meldungen verbreitet würden wie etwa der Vorwurf, die Israelis würden das Wasser der Palästinenser verschmutzen, dann sei es wieder da wie einst ab 1933: das Wort von den "Brunnenvergiftern". Und auch manch einseitiger Blick deutscher Richter, die einen Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge als "nicht antisemitisch" gewertet haben, deute in eine neue Richtung: "Das entschließt sich mir nicht". Hier fordert Schuster mehr Unterstützung durch die Politik – etwa durch die Einsetzung eines Bundesbeauftragten zur Bekämpfung des Antisemitismus.

Die Juden in Deutschland sehen natürlich auch den wachsenden Rechtsextremismus mit Sorgen. Dass die NPD, "die mit Steuergeldern ihr braunes Gift verspritzen konnte", jetzt als verfassungsfeindliche Partei gesehen wird, quittiert Schuster mit Genugtuung. Doch Hass und Hetze offenbart jetzt zunehmend das Netz, das Internet als rechtsfreier Raum. Dort könnten Juden, Türken, Schwarze, Obdachlose, Schwule – Minderheiten also – als Freiwild verstanden werden, wenn der Staat und die Gesellschaft, Polizei und Justiz nicht mit einem harten Durchgreifen antworten. Dass Moslems unter Generalverdacht gestellt werden, lehnt Schuster vehement ab. Doch angesichts der Tatsache, dass es Imame gibt, die Hass predigen, und Flüchtlinge, die Hitler verehren, rangieren Juden auf den Feindeslisten der Islamisten ganz oben. Schuster: "Sind wir bald Fremde im eigenen Land?"

Diese Ausgrenzung, das Schüren von Ressentiments – das sieht Schuster auch seit den Pegida-Demonstrationen ab 2015 und durch die AfD praktiziert. "Das fängt mit verbalem Zündeln an und hört mit brennenden Flüchtlingsheimen auf." Diese Programmatik könnte die Juden kalt lassen, wenn sie von einer Splitterpartei ausgehe. Doch die AfD, in mehreren Landtagen vertreten, sende gezielt Provokationen aus – wie etwa das Wort vom "Denkmal der Schande" über das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Was kann man dagegen tun? "Ich halte es für angemessen, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen." 

Schuster empfiehlt aber auch Fahrten zu Gedenkstätten wie in Dachau oder Flossenbürg – nicht nur von Schülern, sondern auch während der Ausbildung von Juristen, Lehrern und Polizisten. "Wir müssen eine Gedenkkultur entwickeln." Die christlichen Kirchen sieht Schuster als wichtige Partner – auch wenn ihm die Entscheidung des Eichstätter Bischofs Gregor Maria Hanke, einen Priesteranwärter, der wegen Nazi-Witzen aus dem Seminar geflogen war, dennoch zum Diakon zu weihen, sauer aufgestoßen ist.

Es ist ein nach wie vor nicht störungsfreies Leben der Juden in Deutschland. Doch Schuster stellt das Positive in den Mittelpunkt: "Wir stehen nicht vor einer Auswanderungswelle. Das ist kein Thema."

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