Satire beim Comic-Salon: Wenn Erdogan zur Witzfigur wird

5.5.2016, 06:00 Uhr
Satire beim Comic-Salon: Wenn Erdogan zur Witzfigur wird

© Repro: Comic-Salon

Die EN sprachen mit Susanne Küper-Büsch, die als Filmemacherin, Kuratorin und Autorin in Istanbul lebt und arbeitet, über die Reaktionen auf das Böhmermann-Schmähgedicht sowie die Meinungs- und Kunst-Freiheit in der Türkei.

Das Böhmermann-Schmähgedicht und die Reaktionen aus Ankara dominierten in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen in Deutschland. Wie wurde diese „Staatsaffäre“ in der Türkei wahrgenommen?

Sabine Küper-Büsch: Herr Böhmermann hat auch in der Türkei breite Aufmerksamkeit bekommen. Die Medienlandschaft ist hier momentan sehr von der AKP monopolisiert. Die regierungsnahen Medien haben das Gedicht als respektlosen Affront, unanständig, beleidigend bezeichnet, Böhmermann als Schmierenkomödianten, Dreckskerl, hinterhältigen Deutschen. Auch in der Öffentlichkeit werden wir als deutsche Medienvertreter darauf angesprochen. Ich war vor einer Woche für das ZDF beim Merkel-Besuch in Gaziantep. In einem Kaffeehaus entstand eine Kontroverse, zwei Kaffeetrinker brüllten sich zum Schluss an. Der eine:  "In welchem Land darf man den Staatspräsidenten derart beleidigen, eine Riesensauerei". Der andere: "In diesem Land regieren die übelsten Faschisten und im Ausland machen sie uns auch noch komplett lächerlich." Der eine war AKP-Anhänger, also von Erdogans Partei, der andere unterstützt die Opposition. Beide Lager haben 50 Prozent. Diese Situation war also recht exemplarisch. Erdogan hat genauso viele Anhänger wie Gegner im Land, nur mehr Macht als die Opposition. Dementsprechend polarisierend und aggressiv reagiert er momentan.

Das Ausland muss zurzeit als Auslöser für die drohende Wirtschaftskrise und den eskalierenden Terror herhalten, da kommen solche "Vorlagen" wie der Fall Böhmermann gelegen, zumal anders als der Clip der Satire-Show "Extra 3", das Böhmermann-Gedicht viel Angriffsfläche bietet.

 In der Türkei laufen Hunderte von Klagen wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten gegen Journalisten, Künstler und Autoren. Sind kritischer Journalismus und Satire in der Türkei derzeit überhaupt noch möglich?

Küper-Büsch: Die Satire in der Türkei ist die kritischste Instanz im Land. Das hat Tradition. Der letzte absolutistische Herrscher Abdülhamid II. (regierte von 1876—1908) ließ das Wort Nase verbieten, weil er eine Anspielung auf seine Person und seinen Zinken unterbieten wollte. Daraufhin überschwemmten die Zeichner das Osmanische Reich aus dem Exil (Cairo, Paris, London) mit Nasen-Zeichnungen. Das war die Geburtsstunde der Zeitungs-Karikaturen. Anders als die lange Nase von Pinocchio, sind Nasen in der türkischen Satire-Tradition eine Metapher für lächerliche Despoten.

Satire beim Comic-Salon: Wenn Erdogan zur Witzfigur wird

© Foto: privat

Erdogan ist nach wie vor der am meisten karikierte Mensch der Türkei, trotz der Prozesse. Die drei größten Zeitschriften LeMan, Penguen und Uykusuz brachten ihn in den letzten zehn Jahren mehr als tausendfach auf der Titelseite. Als Napoleon, Hitler, tanzend mit Abdullah Gül und in vielen albernen Posen. Erdogan hatte vor Jahren mal den Karikaturisten Musa Kart der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet verurteilen lassen, weil der ihn als Katze, die sich in einem von Obama gehaltenen Wollknäuel verheddert, gezeichnet hatte. Urteilsbegründung: der Staatspräsident darf nicht als Tier gezeichnet werden.

Welche Impressionen aus der türkischen Comic- und Satire-Szene werden beim Erlanger Comic-Salon zu sehen sein?

Küper-Büsch: Der Erlanger Comic-Salon hat hochkarätige Zeichner vor allem der aktuellen Satire-Magazine eingeladen. Eine sehr spannende Mischung der talentiertesten und kritischsten Leute. Viele von Ihnen, etwa der Chefredakteur des Magazins LeMan, Tuncay Akgün, sind prominente Oppositionelle und Begründer einer eigenen Satire-Schule. LeMan hat mehrere Kulturzentren im ganzen Land und wird von Diyarbakır bis Istanbul gelesen.

Akgün war mit dem bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo ermordeten Zeichner Georges Wolinski gut befreundet. LeMan hatte die französischen Kollegen 2007 nach der Mohammed-Karikaturen-Krise nach Istanbul eingeladen und eine gemeinsame Ausgabe mit ihnen produziert. LeMan, Uykusuz und Penguen erschienen nach dem Attentat mit identischen Je-suis-Charlie-Titelbildern.

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