Siemens-Standort Erlangen hat an Einfluss verloren

6.8.2018, 06:00 Uhr
Zwar hat sich Siemens mit dem neuen Campus (Bild) zum Standort Erlangen bekannt, doch auch hier gab es bereits heftige Querelen zwischen dem Konzern und der Stadtspitze: So wird es dort doch kein Firmenhochhaus geben, wie etwa von Oberbürgermeister Florian Janik und der SPD-Fraktion gefordert.

© Berny Meyer Zwar hat sich Siemens mit dem neuen Campus (Bild) zum Standort Erlangen bekannt, doch auch hier gab es bereits heftige Querelen zwischen dem Konzern und der Stadtspitze: So wird es dort doch kein Firmenhochhaus geben, wie etwa von Oberbürgermeister Florian Janik und der SPD-Fraktion gefordert.

Es war vor einem Dutzend Jahren, als die Erlanger Nachrichten am 30. Juni 2006 folgende Analyse formulierten: "Erlangen als heimliche Hauptstadt der Siemens-Welt? Geht es nach der Einschätzung der Wirtschaftsfachpresse, dann ist dieses Szenario – nach der Auslagerung der in München angesiedelten Unternehmensbereiche rund ums Telefon, die bisher ein Viertel des Umsatzes erwirtschaftet haben, aus der AG – längst eingetreten. Siemens wird zum klassischen Industriekonzern – und alle Bereiche, denen man eine echte Zukunft voraussagen kann, verantworten aus Erlangen heraus ihr Weltgeschäft."

Die Wirtschaftswoche sah Erlangen als "Zentrum der Wertschöpfung im Konzern". Das Siemens-Herz schlug damals eindeutig in Erlangen.

Seit Jahrzehnten hatte sich dieser Eindruck verstärkt durch die Tatsache, dass viele Vorstände des operativen Geschäfts in Erlangen nicht nur ihre Chefbüros, sondern auch ihren Lebensmittelpunkt hier hatten. Der Himbeerpalast war neben dem Wittelsbacherplatz in München die Schaltzentrale der Siemens AG, die Aufsichtsratsvorsitzenden Hermann Franz und Heinrich von Pierer entwickelten in ihren Häusern am Burgberg die Strategien, wie es mit Siemens weitergehen sollte in der Zukunft.

All das ist in kürzester Zeit, seitdem der Niederbayer Josef Käser (seit seinem USA-Aufenthalt Joe Kaeser), 2013 das Heft in die Hand genommen hat, anders geworden. Er krempelte mehrmals den Konzern um und schaffte es in fünf Jahren, aus Erlangen die operative Gestaltung zu verlagern. Mit der "Vision 2020+" hat er Siemens mit Wirkung 1. Oktober 2018 eine weitere Struktur übergestülpt und drei neue "Operating Companies" geschaffen, in denen die durchaus nicht vor langer Zeit gegründeten Divisionen aufgehen.

Sie alle operieren nicht mehr aus Erlangen heraus: "Gas and Power" mit 71.000 Mitarbeitern weltweit und 21 Mrd. Euro Umsatz sitzt im fernen texanischen Houston, "Smart Infrastructure", ebenfalls mit 71.000 Mitarbeitern und 14 Mrd. Umsatz, wird vom Steuerparadies Zug in der Schweiz dirigiert, und "Digital Industries" (78.000 Mitarbeiter, 14 Mrd. Umsatz) ist ins benachbarte Nürnberg umgezogen. Die Medizinsparte mit dem Kunstnamen Healthineers teilt sich inzwischen weitgehend mit dem immer wichtiger werdenden Standort Forchheim die Kompetenz, die endgültigen Entscheidungsträger sitzen allerdings in München. Und der Zughersteller Siemens Alstom, um dessen Fusion EU-Kommission und Aktionärsvertreter noch streiten, soll von Alstom-Chef Henri Puopart-Lafarge geführt werden. In Erlangen hat heute nur noch ein einziger aktueller Siemens-Vorstand seinen ständigen Wohnsitz: der – keineswegs unbedeutende – Finanzchef Ralf Thomas.

Blicken Erlangens Siemens-Beschäftigte hinüber zum neu entstehenden Campus, so ist auch diese Sicht nicht frei von Sorgen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat erst vor wenigen Tagen von Kaesers Plänen berichtet, nach denen in Berlin ("oder an einem anderen Standort in der Welt") für bis zu 600 Millionen Euro ein Innovationszentrum entstehen soll – ein sog. "Zukunftscampus". 

Die Aufgabenbeschreibung hebt sich nicht extrem von der des Erlanger Projekts ab: Büros, Forschungslabors, High-Tech-Produktionsanlagen, Standort für Unternehmensgründungen, Wohnungen – kurz: ein modernes Stadtviertel, Raum für Freizeit und Erholung inbegriffen.

Konkurrenz für den Siemens-Campus in Erlangen? Man erinnert sich da an die Querelen um das nicht realisierte Firmenhochhaus im Campus im Frühjahr, als OB Florian Janik zusammen mit seiner SPD-Stadtratsfraktion Kritik an Siemens übten. Die Siemens-Spitzenmanager schwänzten daraufhin die Einladung zur Eröffnung der Bergkirchweih und trafen sich auf einem anderen Keller. Das Verhältnis zwischen dem Konzern und der Stadtspitze hat sich abgekühlt. Kommt nun die Retourkutsche?

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