Wo der Dirigent in die Luft springt

24.10.2017, 19:17 Uhr

Es ist wieder einmal ein furioses und mitreißendes GVE-Konzert, das das Publikum in der gut besuchten Ladeshalle erleben darf. Anhaltend und begeistert fällt der Schlussbeifall aus. Höhepunkt ist Tschaikowskys berühmte sechste Symphonie, die "Pathétique". Der 31-jährige Kahchun Wong schafft es, die hochkonzentrierte Thematik und Dramatik der "Pathétique" zu bündeln. Und er überzeugt mit seinem jugendlichen Schwung und offensichtlicher Dirigierfreude in allen drei großen Werken des Abends, die er souverän auswendig leitet.

So ist bereits im ausgreifenden ersten Satz der "Pathétique" der Zusammenbruch total, unerbittlich steuern die Trompetensignale darauf hin. Mystisch und astrein erklingt der herrliche Bläserchoral am Ende des Satzes. Berührend in seiner Innigkeit ist immer wieder der solistische Ton der Klarinette. Ästhetisches Sentiment und schlichte Eleganz bestimmen – der Satzbezeichnung "con grazia" (also: mit Grazie) entsprechend – den zweiten Satz mit dem ungewöhnlichen 5/4-Metrum.

Der dritte Satz, der Scherzo-Marsch, ist ein Selbstläufer, gesteigert durch klangliche, sich steigernde Orchestereuphorie. Mehrfach springt Kahchun Wong in die Luft, hält sich am Geländer fest. Beneidenswert ist diese physische Ausdrucksmöglichkeit eines Dirigenten, während der Zuhörer sitzen bleiben muss! Der Zwischenbeifall nach soviel Heroik und Brillanz ist freilich nicht aufzuhalten, notwendiges Ventil.

Atemlose Stille

Zur tiefsten Trauer steigert sich das Lamento-Finale: Es ist eine Klage in die Ewigkeit hinein, die beeindruckend von den Kontrabässen bis ins leiseste Pianissimo hinein weiterklingt. Atemlose Stille, Nachklingen des Pathos von Tschaikowskys Meisterwerk. Diese Ausdrucksfülle kündet sich bereits vor der Pause in Tschaikowskys Fantasie-Ouvertüre zu "Romeo und Julia" (zweite Fassung) an: Auch hier herrscht große Dramatik, Fulminanz, Fülle und Wärme in den Themen, erschütternde Bedrohlichkeit. Bildhafte Ballettszenen werden heraufbeschworen, vor dem inneren Auge fantasiert. Wahrhaft behände, ohne Stab, dirigiert Wong Haydns Symphonie Nr. 44, die "Trauer-Symphonie". Viel Schwung entwickelt sich – gemäß der Satzbezeichnung – im eröffnenden Allegro-Satz. Grimmig und spannend klingt das Finale aus. Die Bamberger kennen und können das alles. Strenge im typisch haydn’schen Sinne beinhaltet das "Menuetto". Das ist klar strukturiert. Das "Adagio" ist ebenso unverkennbar Haydn, von artig klassischer Mach- und Klangart.

Viele Worte im Programmheft macht der anwesende Komponist Walter Zimmermann (geb. 1949) um sein knapp zehnminütiges Auftragswerk "Äthermühle" im Rahmen der "Encore"-Reihe. Das Publikum quittiert die kopflastig parodierenden fränkischen "Tanzmelodien" um das komplizierte Werk Jean Pauls mit verzögertem, höflichen Beifall.

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