Wohnkomplex für Flüchtlinge geräumt: Das sagen die Mieter

3.10.2015, 18:00 Uhr
Wohnkomplex für Flüchtlinge geräumt: Das sagen die Mieter

© Sharon Chaffin

In dem riesigen Gebäude mit mehreren WGs und zahlreichen Studenten-Appartements herrscht Abschiedsstimmung – notgedrungen. Erst am Abend zuvor, am Dienstag, haben fast alle Bewohner ihre Aufhebungsverträge unterschrieben; nun sitzen sie, wie so oft in der Vergangenheit, auf der Terrasse, neben sich die unterzeichneten Abkommen mit zugesicherten Entschädigungssummen von bis zu 2000 Euro. Im Gegenzug müssen sie die inzwischen bundesweit bekannte Dorfstraße 17 in Büchenbach schnell verlassen. Schon bald bringt die Stadt dort bis zu 50 Flüchtlinge unter, rund zehn sind schon in das Gebäude eingezogen.

Auch eine junge Frau hat in ihrem Zimmer bereits Umzugskartons bereitgestellt. Und das, obwohl sie noch immer nicht auf das Angebot des Vermieters eingegangen ist – trotz der für eine Arzthelferin doch verlockenden Summe. Seit vier Jahren wohnt sie in der ehemaligen Gaststätte im Ortskern des westlichen Stadtteils, ihr kleines, aber feines Appartement mit eigenem Bad hat sie sich gemütlich und liebevoll eingerichtet. Sie habe sich dafür eingesetzt, dass alle in dem Haus bleiben können, mit städtischen Ämtern telefoniert und die Öffentlichkeit gesucht. Deshalb, sagt sie, hätte der Vermieter sie als rassistisch bezeichnet.

In einem Schreiben an die EN-Redaktion warnt der Immobilienbesitzer tatsächlich mit Nennung des Namens vor der jungen Frau. Wörtlich heißt es in dem Statement: „Ich empfehle, bei den Recherchen nicht die Möglichkeit außer acht zu lassen, dass die (...) Mieter aufgrund ihrer politischen Gesinnung versuchen könnten, generell eine Belegung mit Flüchtlingen zu verhindern und als Mittel der Wahl das Ausspielen von deutschen Studenten gegen Asylanten wählen.“

Völlig auf sich gestellt

Diese Behauptung weist die Mieterin hingegen weit von sich: „Ich habe nichts gegen Ausländer“, sagt sie und blickt dabei zu ihrem Mitbewohner, einem 38-Jährigen mit türkischen Wurzeln. Er nickt und betont noch einmal, was er zuvor bereits mehrmals erzählt hat: „Wenn der Vermieter einige von uns jetzt als fremdenfeindlich hinstellt, ist das eine glatte Lüge – ich bin Türke und habe hier nie irgendetwas erlebt, was in diese Richtung geht.“

So wie die junge Frau wohnt auch der türkischstämmige Mieter seit rund vier Jahren in dem Anwesen, das seit unserer Berichterstattung in ganz Deutschland für Aufmerksamkeit sorgt. Wie die 25-Jährige hat er noch keine Ersatzwohnung gefunden, aber zumindest demnächst einen Besichtigungstermin: „Ich hoffe, es klappt; lange halte ich den Stress und den Druck, den der Vermieter ausübt, nicht mehr aus.“

Er, die junge Frau und alle anderen Bewohner, die man in dem in typisch sympathischer WG-Manier mit großen Kühlschränken und vielen Schuhen im Gang trifft, hat es in dem Anwesen gefallen. Die Gemeinschaft (einige Bewohner ziehen zusammen in eine neue WG), die Nachbarn, das Haus, die Terrasse – alles, so sagen sie, hat wunderbar gepasst. Bis auf den Vermieter, der schon vor der umstrittenen Auszugsmethode sich um nichts gekümmert habe.

Sie werfen ihm zudem vor, unehrlich zu sein. Ein Beispiel, das in den Gesprächen mit Bewohnern immer wieder zu hören ist: Schon seit einiger Zeit soll er freie Zimmer trotz zahlreicher Interessenten nicht wieder vermietet haben – mit Blick auf eine künftige Flüchtlingsunterkunft. Auch im Gespräch mit unserer Zeitung hat der Vermieter allerdings stets betont, er bekomme „seine Appartements nicht mehr los, weil die Studenten eine viel zu große Auswahl“ hätten. Der Wohnungsmarkt sei entspannt.

Auch die neuen Bewohner, also die Flüchtlinge, die bereits in einem Teil des ehemaligen Gasthofes sind, seien völlig auf sich gestellt, erzählen die Altmieter. „Er kommt nicht, um ihnen etwas zu zeigen“, sagt ein Bewohner. Kürzlich hätten sie den ersten Asylbewerbern die Mülltrennung erklären wollen: „Es funktioniert nicht“, berichtet der Student, „sie sprechen ganz schlecht Englisch und wir sehen nie einen Dolmetscher.“

Englisch beherrscht auch der Syrer kaum, der an diesem späten Nachmittag im Hof auf und ab läuft. Aber mit Menschen kann er umgehen, auch ohne Worte. Sofort führt er in sein Appartement. Erstaunlich offen ist er, trotz seiner Ausnahmesituation und obwohl ihm die Erinnerungen an den Krieg immer wieder einholen, wie er mit drastischen Gesten deutlich macht. Begeistert zeigt er das Zimmer, ein Hochbett und ein normales Bett stehen darin sowie ein Tisch mit ein paar Stühlen. Das Baby schläft, die Mutter duscht und er, der Familienvater, blickt erschöpft, aber zufrieden aus dem Fenster im Parterre. Vor wenigen Stunden erst ist er mit Frau und Kind in die Unterkunft eingezogen, von den umstrittenen Um- und Auszugsmethoden rund um seine neue Bleibe weiß er (noch) nichts.

"Stadt hat keinen Druck ausgeübt"

Und das soll — das wird in einer Informationsveranstaltung für die Bürger deutlich —, auch so bleiben. Denn die meisten Anwohner stört nur, wie die neuen Verträge mit der Stadt zustande gekommen sind; nicht aber, dass in dem Gebäude künftig Asylbewerber wohnen.

Im Gegenteil: Bei der Fragestunde mit Oberbürgermeister Florian Janik und Bürgermeisterin Elisabeth Preuß im Gasthof „Zur Einkehr“ wird klar: Die Büchenbacher wollen die Asylbewerber aufnehmen und unterstützen. Ein Helferkreis hat sich bereits gebildet, wie eine Frau im Publikum berichtet, nun sollten Spenden und ehrenamtliches Engagement noch besser koordiniert werden. Dennoch, und das zeigen die Wortbeiträge an diesem Abend, ist die Akzeptanz einer Flüchtlingsunterkunft angekratzt durch die umstrittenen Verträge.

Die Mehrzahl der rund 150 Besucher ist über die Methode, Altmieter mit Geld zum Auszug zu bewegen, um im Anschluss vielfach höhere Einnahmen mit Asylbewerbern zu bekommen, empört. Von „Profitgier“ ist am Mikrofon die Rede, vom „Hinausekeln“ und vom „eine goldene Nase verdienen“. Ein Mann, der sich zu Wort meldet, sagt, er überlege gar, seine Wohnung an die Stadt zu vermieten und sich von den Einnahmen eine teures Penthouse zu kaufen. „Das könnte ich mir dann leisten“.

Ob das stimmt, lassen OB Janik und Bürgermeisterin Preuß bei der Veranstaltung offen. Denn wie viel die Stadt (bzw. der Bezirk und somit der Freistaat) an den Vermieter, der sich an diesem Abend durch seinen Anwalt vertreten lässt, wirklich bezahlt, verraten sie nicht.

Immer wieder fällt in dieser doch weitgehend emotionalen Debatte die Frage nach der Stadt Erlangen, nach ihrer Verpflichtung. „Die Stadt“, kritisiert ein Besucher, „hat keinen Druck ausgeübt, sondern nur den Geldbeutel für den Vermieter aufgemacht.“ Das aber habe die Immobilienbesitzer geradezu animiert, zu den bereits unbewohnten zusätzlich noch bewohnte Räume für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

Die Erklärungsversuche der beiden Stadtvertreter klingen da für die meisten im Saal wenig überzeugend. Es werde Verantwortung abgewiesen, so die einhellige Meinung. Der Rathauschef hält entgegen: „Bei der Sache ist einiges schief gelaufen, aber das geht nur Mieter und Vermieter an, aber nicht uns, die Stadt.“

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