Zurück zu den fränkischen Wurzeln

30.8.2010, 07:29 Uhr
Zurück zu den fränkischen Wurzeln

© Harald Sippel

Dieser Modeerscheinung haben nun die rührigen Poetenfest-Initiatoren Rechnung getragen und eine Veranstaltung der regionalen Szene gewidmet. Somit kehrte das Festival im Jubiläumsjahr quasi zurück zu den Wurzeln. Denn vor 30 Jahren waren es vornehmlich fränkische Autoren und Liedermacher, die auf dem Erlanger Literatur-Fest ein erstes Forum erhielten. Heute, Jahrzehnte später, hat sich nicht nur das einst handgeschriebene Flugblatt zum hippen Programmheft entwickelt. Auch die Schrifsteller kommen längst aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland. Nicht selten waren in der Vergangenheit hochkarätige Autoren wie Imre Kertész, David Grossman, Per Olov Enquist oder die Niederländerin Margiet de Moor zu Gast.

Diese Namen stehen für Attraktivität und Renommee der Veranstaltung. Von ihrem ursprünglichen Charme hat sie jedoch auch im Jahr 2010 nichts eingebüßt. Wo sonst finden Lesungen und Autorengespräche in so gelöster und unakademischer Atmosphäre statt wie im Erlanger Schlossgarten? Diese einmalige Open-Air-Stimmung lieben die Besucher – und ließen sich deshalb auch heuer von ungemütlichen Temperaturen und Regenschauern vom Lese-Marathon nicht abhalten. Gerüstet mit Schirmen, Decken und dicken Jacken genossen sie die gesamte Bandbreite der gegenwärtigen deutschen Literaturszene – inklusive Franken-Power.

Dass einheimische Autoren wie Helmut Haberkamm oder „Exil“- Schrifstellerinnen wie Kerstin Specht und Christiane Neudecker etwas zu sagen haben, zeigte dann auch eine von NZ-Mitarbeiter Herbert Heinzelmann moderierte Podiumsdiskussion. So unterschiedlich diese drei Literaten in Biographie, Werdegang und schriftstellerischem Selbstverständnis sein mögen: Der Einfluss, den die Region auf das jeweilige Werk hat, ist bei allen zumindest im Ansatz vorhanden.

Als „fränkisches Gewächs“ etwa bezeichnet sich der Mundartdichter Helmut Haberkamm. Aufgewachsen im Aischgrund habe ihn diese Gegend sehr geprägt – so sehr, dass er seine Texte („Frankn lichd nedd am Meer“) bewusst im Dialekt hält. Wenn er fränkische Eigentümlichkeiten wie die Landschaft beschreiben will, sei das ohne Mundart überhaupt nicht möglich, erklärte er dem interessierten Publikum.

Auch die Mentalität und die soziale Herkunft haben die Schriftsteller geformt: „Die Franken sind sehr wortkarg“, betonte Kerstin Specht, die eine eher unglückliche Kindheit in einem kleinen Dorf bei Kronach verbracht hat. Der kleinbürgerlichen, hinterwäldlerischen Enge ist sie zwar bald entflohen; die frühen Erfahrungen aber ziehen sich durch ihr gesamtes Werk („Das glühend Männla“). Ihre Figuren lässt sie daher meist in einer sehr reduzierten Sprache reden, bisweilen auch im stilisierten, angedeuteten Dialekt.

Selbst Christiane Neudecker – die in Nürnberg aufgewachsen ist und heute in Berlin lebt – beruft sich auf ihre fränkische Verankerung. Und das, obwohl ihre Texte („Nirgendwo sonst“) meist in der Fremde spielen, in Norwegen, Birma oder Dubai: „Manchmal geistern in meinen Büchern Personen herum, denen ich ein bisschen Fränkisch in den Munde lege“, sagte sie. Als Franken-Kunst aber möchte sie ihre Werke nicht verstanden sehen: „Die Heimat beeinflusst einen Autor“. Zu diesem persönlichen Erfahrungsschatz müssten noch die schriftstellerischen Ausdrucksweisen hinzukommen. Eine fränkische Kulisse allein sei noch lange keine Literatur. Was aber macht dann eine dezidiert fränkische Kunst überhaupt aus?

Für Specht jedenfalls passen „Region“ und „Kunst“ nicht zusammen. „Region ist für mich nur eine Fläche“. Sie bevorzugt den Begriff „Heimat“: „Das ist ein Wort, das ich schön finde; es drückt ein Gefühl aus, egal ob negativ oder positiv“. Die Verbundenheit der Autorin zu Oberfranken ist bisher jedoch einseitig, bedauerte die Dramatikerin. Noch nie sei eines ihrer Stücke in Coburg aufgeführt worden: „Die Leute wollen dort kein Problemstück sehen“. Als Autor habe man in seiner Heimat oft den Ruf des Netzbeschmutzers. Dabei könne sie sich einen großen fränkischen Roman durchaus vorstellen.

Der langjährige Feuilletonchef der Nürnberger „Abendzeitung“ und Kenner der fränkischen Literaturszene, Dieter Stoll, mag daran nicht recht glauben: „Zwischen den ,Buddenbrooks‘ und der Familie Schickedanz liegt eine große Fallhöhe.“

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