Fall Peggy: Neue Hoffnung auf Freiheit für Gastwirtssohn

18.7.2012, 18:40 Uhr
Fall Peggy: Neue Hoffnung auf Freiheit für Gastwirtssohn

© dapd

Der Aktenordner, der vor Gudrun Rödel liegt, ist prall gefüllt. Voll mit Protokollen aus polizeilichen Vernehmungen, Briefen von Prozessbeteiligten und Gutachten. „Wir haben alles zusammengetragen, was aus unserer Sicht gegen eine Täterschaft spricht“, sagt die pensionierte Rechtsanwaltssekretärin.

Mit den Beweisen will sie den Prozess gegen den behinderten Mann, der vor elf Jahren im Dorf Lichtenberg in Oberfranken eine Neunjährige umgebracht haben soll, neu aufrollen. Der Bayrische Rundfunk hat mit einer Dokumentation die letzten Schritte Rödels zum Antrag auf ein Wiederaufnahmeverfahren begleitet.

Geständnis eines Geistigbehinderten

Eigentlich ist der Fall des geistig behinderten Nachbarn der Fall Peggy K.. Es war der 7. Mai 2001, als die Neunjährige, die mit ihrer Mutter kurz nach der Wende aus Halle in Sachsen-Anhalt nach Lichtenberg in Oberfranken kam, auf ihrem Schulweg spurlos verschwand. Wochenlang durchkämmten Hundertschaften von Polizisten die oberfränkischen Wälder, sogar Tornados kommen zum Einsatz bei der Suche nach dem Mädchen, das Nachbarn als kontaktfreudig beschrieben. Dennoch bleibt Peggy verschwunden, ihre Leiche wird nie gefunden.

2003 wird der Fall zur Causa K., als der damalige bayerische Innenminister Günter Beckstein (CSU) die bisherigen Ermittler wegen Erfolglosigkeit von dem Fall abzieht. Für die Neuen gerät der zur Tatzeit 23-Jährige, der seiner bekannten pädophilen Neigungen wegen zwar überprüft, aber als „kalte Spur“ abgetan worden war, ins Visier. Nach stundenlangem Verhör gesteht der Geistigbehinderte die Tat.

Später wird er zwar seine Einlassung mit der Begründung, körperlich misshandelt worden zu sein, widerrufen. Dennoch verurteilt ihn das Landgericht Hof drei Jahre nach Peggys Verschwinden wegen Mordes und weist ihn lebenslang in die geschlossene Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth ein. Bis heute glaubt in Lichtenberg jedoch kaum jemand, dass der übergewichtige Nachbar mit seinem IQ von 67 die als aufgeweckt geltende Peggy abgefangen und binnen einer Stunde vergewaltigt, erwürgt und schließlich gemeinsam mit seinem Vater bei Seite geschafft haben könnte.

Rödel: Gutachten basieren auf Lügen eines V-Mannnes

Auch Gudrun Rödel aus dem knapp 30 Kilometer von Lichtenberg entfernten Ort Münchberg wollte sich nicht mit dem Urteil abfinden. Selbst Mutter einer behinderten Tochter, nahm sie nach dem Urteilsspruch Kontakt auf zu den Eltern des Nachbarn , einem deutsch-türkischen Gastwirtspaar. Dabei traf sie auch den Mann, der am Nachmittag des Tattages mit dem Nachbarn in seinem Garten Holz gemacht haben will. „Der Mann weinte und beteuerte, dass er bei ihm war. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich, um was zu tun“, sagt Rödel.

Die gebürtige Zwickauerin Rödel löste das Dorf Lichtenberg aus der Schockstarre und gründete eine Bürgerinitiative für den Nachbarn. Und sie begann, nach Beweisen für dessen Unschuld zu suchen. Detektivisch organisierte sie dabei widersprüchliche Polizeiprotokolle, einen an den damaligen Richter gerichteten Wutbrief eines Vaters, dessen Sohn Peggy noch am Abend des Tattages sah, dessen Aussage jedoch von der Polizei als „Lausbubenstreich“ abgetan wurde.

Auch der Widerruf der entscheidenden Zeugenaussage gelangte in ihren Besitz, was für sie nun die tragende Säule für einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahren ist. „Das Gutachten, das das ursprüngliche Geständnis als wahr einschätzt, basiert allein auf der Aussage eines Zeugen, der zugibt, gelogen zu haben“, sagt sie. Zudem hat sie den Fahrtenschreiber jenes Schulbusses, mit dem Peggy nach Hause fuhr, von einem Verkehrsgutachter auswerten lassen. „Das Ergebnis ist, dass Peggy nie zu der Zeit in Lichtenberg ankam, wie von der Polizei behauptet. Damit stimmt die ganze Theorie zum Tathergang nicht“, sagt sie.

Der Film des BR dokumentiert still die Wahrheitssuche von Rödel. Allein eine Frage greift der Film nicht konsequent auf: Was könnte tatsächlich mit Peggy passiert sein? Obwohl es dazu gleich mehrere Spuren gibt und die jüngste sogar in die unmittelbare Nachbarschaft des Mannes führte. So wurde vor wenigen Jahren ein Lichtenberger Rentner verhaftet, der jahrelang seine Nichten missbrauchte. Allerdings scheint es, als ob sich alleine die Mutter des Nachbarn nach elf Jahren noch ernsthaft für das Schicksal des Mädchens interessiert. „Ich habe selbst zwei Mädchen verloren und finde erst dann Ruhe, wenn ich weiß, was mit ihr passiert ist“, sagt Elsa K..

Die Dokumentation „Mord ohne Leiche – Neue Spuren im Fall Peggy“ läuft am Mittwoch (18. Juli) um 23.00 Uhr, in der ARD.

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