Fall Sophia: Warum der Staatsanwalt nun gegen Höcke ermittelt

21.12.2018, 06:00 Uhr
Die Hinterbliebenen der getöteten Studentin – hier eine Karte zum Gedenken an Sophia während des Trauergottesdienstes – leiden auch darunter, dass Rechtsextremisten den Fall für ihre Zwecke zu missbrauchen versuchen.

© dpa/Karmann Die Hinterbliebenen der getöteten Studentin – hier eine Karte zum Gedenken an Sophia während des Trauergottesdienstes – leiden auch darunter, dass Rechtsextremisten den Fall für ihre Zwecke zu missbrauchen versuchen.

Wenn ein naher Verwandter stirbt, ist das tragisch genug. Wenn dieser nahe Verwandte erst 28 Jahre alt war und gewaltsam ums Leben kam, ist es noch schlimmer. Völlig unerträglich wird es, wenn die Getötete für Toleranz und ein friedliches Miteinander aller Bevölkerungsgruppen eingetreten ist – und Rechtsextreme ihren Tod und ihr Bild für ihre Propaganda missbrauchen. Genau das musste die Familie der Sophia Lösche erleben. Ihr Bruder Andreas (51), der für die Grünen im Bamberger Kreistag sitzt, kämpft seitdem um das Andenken an die Studentin, die bei den Jusos aktiv war und nach Griechenland reiste, um Flüchtlingen zu helfen. Die traurige Geschichte begann am 14. Juni 2018. Sophia, die in Leipzig studierte, wurde zum Geburtstag des Vaters in Amberg erwartet. Sie wollte von Schkeuditz bei Leipzig Richtung Nürnberg trampen und das letzte Stück mit dem Zug fahren.

"Sitze beim Marokkaner Bob im Truck", schrieb sie am frühen Abend – mit einem Smiley. Spät abends war sie immer noch nicht in der Heimat, ihr Handy war aus. Am nächsten Morgen rief Sophias Vater die Polizei an – und wurde abgewimmelt. Die Eltern und der Bruder rechneten zu diesem Zeitpunkt längst mit dem Schlimmsten. "Eine 28-Jährige trampt, ihr Handy geht plötzlich aus, sie kommt nicht an ihrem Ziel an", sagt Andreas Lösche, der trotz des großen Altersunterschiedes ein enges Verhältnis zur Schwester hatte. "Klarer geht`s nicht."

Der Bruder wirft der Polizei schwere Versäumnisse vor. Er hat deswegen die Innenministerien Bayerns und Sachsens angeschrieben und wartet seit vier Monaten auf eine Antwort. Tagelang hätten die Leipziger und Amberger Beamten gestritten, wer zuständig sei. Deshalb startete Andreas Lösche mit Sophias zahlreichen Freunden aus Amberg, Leipzig, Berlin und ihrem früheren Studienort Bamberg eine private Suchaktion. Rund 80 Menschen hängten Plakate auf, posteten Suchanzeigen im Internet, sprachen Lkw-Fahrer an und machten die Spedition ausfindig, für die der Fahrer arbeitete. Ein marokkanischer Freund Sophias rief bei dem Unternehmen in Tanger an.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Die spanische Polizei fasste den mutmaßlichen Mörder, der inzwischen zu Fuß flüchtete, schließlich in Südspanien. Kurz zuvor hatte man den brennenden Lastwagen gefunden, zwei Tage später Sophias halbverkohlte Leiche. Für Andreas Lösche war klar, dass Rechtsextreme Sophias Tod für sich nutzen würden: "Eine Politikerin aus dem eher linken Spektrum, die sich für Flüchtlinge engagiert, wird von einem Marokkaner getötet – geht es noch schöner für die Rechten?" Obwohl der Tod seiner Schwester nichts mit Flüchtlingspolitik zu tun habe: "Der Täter war kein Flüchtling oder Migrant, sondern beruflich in Europa unterwegs. Sophia ist nicht gestorben, weil sie sich für Flüchtlinge eingesetzt hat. Sondern weil sie eine Frau war.“

 

Aber was nicht passt, wird passend gemacht. Und so erhielt Andreas Lösche kurz nach dem Tod der geliebten Schwester die ersten Hassmails – anfangs 50 bis 60 pro Tag, sagt der 51-Jährige. "Die habe ich einfach gelöscht", sagt er. "Was drinsteht, merkt man schon nach den ersten drei Wörtern – und an der schlechten Rechtschreibung." Eher stören ihn Briefeschreiber, die zunächst ihr Beileid aussprechen – um dann einen Schwall angeblich gut gemeinter Ratschläge zu ergießen. "Es läuft immer darauf hinaus, dass die Politik der Grünen schuld sei", sagt Lösche. "Diese Leute haben nichts kapiert und geben mir schlaue Tipps, wie ich meine Weltanschauung ändern muss."

Landtag hat Höckes Immunität aufgehoben

Später nahm AfD-Rechtsaußen Björn Höcke Sophias Tod zum Anlass, um über Merkels Flüchtlingspolitik herzuziehen. Höcke nannte die Getötete übrigens "Sophie Lösch". Beileidsbekundungen von AfD-Seite hat die Familie nie erhalten. Ende August traten beim so genannten Trauermarsch in Chemnitz AfD-Politiker erstmals öffentlich gemeinsam mit Neonazis auf. Die Demonstranten trugen große Plakate mit den Gesichtern von Menschen, die mutmaßlich von Ausländern getötet worden waren – darunter auch Sophia Lösches Fahndungsbild. "Das war ein Schock“, sagt ihr Bruder. "Ich hätte nicht gedacht, dass die auf so widerliche Ideen kommen." Seine Eltern zeigten Höcke und weitere Rechte wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz an.

Denn wenn eine Fahndung abgeschlossen ist, gehen die Bildrechte wieder auf die abgebildete Person oder, falls diese nicht mehr lebt, deren nächste Verwandte über. Nach Sophias Beerdigung im September schrieb Andreas Lösche auf Twitter: "Jetzt kannst Du endlich in Frieden ruhen, meine wundervolle Schwester! Wir werden niemals zulassen, dass #AfD und der ganze rechte Mob Dein Andenken durch den Dreck ziehen!" Kürzlich hat der thüringische Landtag Björn Höckes Immunität aufgehoben, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Woher nimmt Andreas Lösche die Kraft für diesen Rechtsstreit? "Ohne meine Familie und unsere tolle Truppe würde ich das nicht schaffen", sagt er. "Aber wir können uns das nicht gefallen lassen. Es ist, als würde Sophia nochmal Gewalt angetan. Sie hat sich gegen alles gewendet, wofür die AfD steht."

Der Fall Sophia - eine Chronologie der Ereignisse:

 

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