Familie verabschiedet sich mit bewegendem Brief von Sophia

12.8.2018, 14:24 Uhr
"Wenn wir an Sophia denken, dann denken wir an ihre stete Bewegung, mit der sie uns, so viele und vieles bewegte." Sophias Familie und Freunde zeigen in dem offenen Brief, was für ein Mensch die junge Frau gewesen ist.

© Polizei Leipzig "Wenn wir an Sophia denken, dann denken wir an ihre stete Bewegung, mit der sie uns, so viele und vieles bewegte." Sophias Familie und Freunde zeigen in dem offenen Brief, was für ein Mensch die junge Frau gewesen ist.

Ihr tragisches Schicksal bewegte die Menschen: Vor zwei Monaten traf die 28-jährige Sophia L. die folgenschwere Entscheidung, den Weg von Leipzig nach Nürnberg zu trampen. Sie kam nie dort an. Wochenlang suchten Familie und Polizei nach der Studentin, gingen dem Hinweis auf einen Lastwagen nach, in den Sophia an einer Tankstelle bei Leipzig gestiegen war.

Eine Woche nach ihrem Verschwinden wurde schließlich eine Frauenleiche in Nordspanien entdeckt, eine weitere Woche später hatte ihre Familie die traurige Gewissheit. Es handelte sich um Sophia – sie war einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Die Polizei verhaftete einen 41-jährigen Lastwagenfahrer aus Marokko. 

Sophias Bruder wandte sich schon einmal in einem Brief an die Öffentlichkeit. Kurz nach ihrem Verschwinden wies Andreas darauf hin, dass seine Schwester unter keinen Umständen wollen würde, dass "auf ihre Kosten rassistische Hetze" betrieben werden würde. Zu dem Zeitpunkt hatten bereits entsprechende Spekulationen im Netz kursiert.

Der Brief löste damals eine Welle von Hasskommentaren und Morddrohungen gegen Sophias Familie aus. Nun hat die Familie erneut den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt – dieses Mal allerdings mit einem bewegenden Nachruf auf die junge Frau. Er zeigt, was Sophia für ein Mensch gewesen ist.

Das ist der Nachruf, den der Tagesspiegel veröffentlicht hat:

"Wenn wir an Sophia denken, dann denken wir an ihre stete Bewegung, mit der sie uns, so viele und vieles bewegte. Dabei bewegte sie sich selbst und ständig zwischen verschiedenen Kreisen und Orten: Leipzig, Berlin, Bamberg, Amberg, Athen, Lesbos…

Unerschütterlich im Glauben an das Gute in den Menschen und in ihrer aufrichtigen Überzeugung, für die richtige Sache einzutreten, bewegte sie mit ihrer herzlichen Ehrlichkeit und mit ihrer unermüdlichen Leidenschaft alle, die mit ihr zu tun hatten. Sie bewegte im direkten Umfeld Bekannte, die zu Freunden wurden und Gleichgesinnte, die zu Mitkämpfern für eine gerechtere Welt wurden.

Sie lebte uns vor, sich nicht mit den kleinen erreichten Kompromissen zufrieden zu geben. Sie zeigte uns, dass das große Ganze anzugehen ist. Sie führte uns vor, niemals anzuhalten, weil etwas gut genug sei. In ihrer Bestimmtheit zog sie andere in ihren Bann. Dank ihrer Beharrlichkeit krachte sie auch mal mit der einen oder dem anderen zusammen. Dabei bestand sie aber immer auf einer fairen Auseinandersetzung und konnte aufbrechende Konflikte schnell mit ihrem einnehmenden Wesen entschärfen.

Sie blieb dabei stets bescheiden. Akademischer Standesdünkel war ihr ebenso fremd wie jedwede Ausgrenzung irgendwelcher sozialer Gruppen. Ganz im Gegenteil. Ihr Platz war nie an der Seite der Großkopferten, sondern bei denen, die in unserer Gesellschaft nicht mithalten können oder wollen, die schwach sind, unterdrückt werden, flüchten mussten, irgendwie klein sind. Das war der rote Faden ihres Lebens und Sophia war so konsequent, dass man dieses Moment in ihren Handlungen und Entscheidungen stets wahrnehmen konnte, sei es als Schulsprecherin oder in der Studierendenvertretung, bei ihrer politischen Arbeit, im Umgang mit uns allen und ganz besonders bei ihrem Einsatz für Geflüchtete.

Wenn wir an Sophia denken, fällt uns jedoch nicht zuerst ihre Bescheidenheit oder ihr soziales Engagement ein, sondern ihr Spaß, ihre Lebensfreude. Ihre Begeisterungsfähigkeit für jede noch so abwegige Idee. Ihr Vergnügen, diese bis ins Absurde weiterzuspinnen, hat uns angesteckt. Da wurde auch mal die Nacht zum Tag. Ihre Freude, neue Menschen kennenzulernen, ihre Neugierde, ihre Lust am Leben und ihre ehrliche Fröhlichkeit haben ihre Mitmenschen begeistert. All dies hallt ungebrochen in uns nach.

Wir sind bewegt vom Ende ihrer Bewegung

Diese Dimensionen der Bewegung – ihre eigene unermüdliche Bewegung, die Übertragung ihrer Bewegung auf einzelne und letztlich auf die Gesellschaft – sind auf so wunderbare Weise in Sophia zusammengetroffen, dass unsere Herzen noch immer nicht begreifen, dass ihre eigene Bewegung zu Ende sein soll. Wir wissen aber, dass die Bewegungen, die sie in vielen auslöste, durch nichts und niemanden mehr zu bremsen sind. Die bewegenden Begegnungen mit ihr werden vielen fehlen, ihrer Familie, ihren Freunden, ihren Kollegen, ihren Bekannten und nicht zuletzt jenen, die durch ihren Tod um einen Hoffnungsschimmer ärmer geworden sind."