FDP-Spitzenkandidat Hagen: "CSU verliert völlig die Balance"

23.4.2018, 14:05 Uhr
Martin Hagen führt die FDP in den bayerischen Landtagswahlkampf.

© Stefan Hippel Martin Hagen führt die FDP in den bayerischen Landtagswahlkampf.

Wie klingt ein Spitzenkandidat der FDP im Jahr 2018? Natürlich spricht er auch von Migration, von schnellem Internet und von der Bildung als Megathema, doch erst einmal greift er zu einem hipperen Wort: "Bayern braucht ein liberales Update", heißt das bei Martin Hagen, der an der Spitze der FDP-Landesliste ins Maximilianeum einziehen will.

Mitgegeben ist dem Strategie- und Kommunikationsberater, der Politikwissenschaften studiert hat, eine gehörige Portion Redetalent. Als Pressesprecher der FDP im Bundestag und Hauptgeschäftsführer der bayerischen FDP schon im zarten Alter von 28 Jahren, tauchte er früh in den Politikbetrieb ein. In diesem März setzte er sich auf dem Landesparteitag in Bad Windsheim gegen Ex-Landeschef Albert Duin durch, in der ersten Urwahl der bayerischen Liberalen.

Hagen, dessen Partei derzeit in den Wahlumfragen zwischen vier und sechs Prozent schwankt, weiß, dass er einen schwierigen Job übernommen hat. Er muss in einem florierendem Bundesland als kleiner Mitspieler Wahlkampf betreiben und Themen suchen, die die CSU und andere liegen lassen: "Wir wollen Bayern nicht schlechtreden, das wäre Unsinn." Dann setzt der selbstständige Kommunikationsberater einen Seitenhieb hinzu: "Unser heutiger Wohlstand hat aber mit Strauß und Stoiber zu tun, weniger mit Seehofer und Söder."

Forschungen besser nutzen

Hagen will "Bayern fit machen für die Zukunft", denn das sei es entgegen der allgemeinen Sichtweise gar nicht. Der Freistaat zehre - so die Lesart der Liberalen im Wahlkampf - noch immer von den Technologien des letzten Jahrhunderts, die Industrielandschaft sei geprägt von Automobil- und Maschinenbau. Hagen vermisst die Umsetzung von den "ordentlichen Forschungen" der Universitäten München und Erlangen-Nürnberg" in markttaugliche Produkte. Als Beispiele nennt er die Technik des 3D-Drucks und das Nutzen künstlicher Intelligenz. "Bayern hat kein IT-Unternehmen von Weltrang", stellt er fest.

Als eines der weiteren bayerisch-liberalen Hauptthemen hat Hagen die fehlende Chancengleichheit im Bildungssystem ausgemacht. "Einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz", fordere die FDP. Das sei ein Thema, dem die anderen Parteien keine Priorität einräumten. In den Kitas habe dagegen Qualität Vorrang vor einer kostenlosen Unterbringung, wie es die Freien Wähler wollen.

In Empörung gerät der smarte Mann in weißem Hemd und Jeans beim aktuellen Thema "Psychiatriegesetz". "Völlig inakzeptabel" nennt er den Entwurf, bei dem das Innenministerium die Feder führte. Hagen sieht einen Trend in Verbindung mit dem Polizeiaufgabengesetz. "Die CSU verliert völlig die Balance zwischen Freiheit des Bürgers und Sicherheit." Das Psychiatriegesetz zum Beispiel mache aus depressiven Menschen "Gefährder, die dann polizeibekannt sind". Das ähnele "dem Umgang mit Straftätern".

Martin Hagen erkennt in der harten CSU-Linie langfristig eine Gefahr für die Wirtschaft. Als Sohn eines zivilen Beraters der Bundeswehr im italienischen La Spezia geboren und verheiratet mit einer Frau aus Sri Lanka, mahnt er ein "offenes gesellschaftliches Klima" für den Freistaat an. Das sei wichtig für die Zukunft, etwa um internationale Fachkräfte nach Bayern zu locken. Insofern sieht Hagen mit Grausen, wie die Islam-Debatte von Horst Seehofer neu entfacht wurde. "Diese Diskussion war doch Gott sei Dank tot."

"Diesen Kurs von Söder, er möchte in allen öffentlichen Gebäuden wieder Kreuze aufhängen, da liegt er diametral mit uns auseinander. Wer das als die vordringliche Herausforderung der Politik in Bayern sieht, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt."

"Stärkung des Rechtsstaates"

Zugleich fordert Hagen ein Einwanderungsgesetz, dass Asylsuchende und Einwanderer aus wirtschaftlichen Gründen ins Land holt - so weit Letztere von der Wirtschaft gebraucht werden. Nicht anerkannte Asylbewerber will auch Hagen konsequenter abschieben. Der Spitzenkandidat sieht darin die "Stärkung des Rechtsstaates, die ein urliberales Anliegen ist". "Das Problem ist doch nicht, das die Menschen sich abschotten wollen, sondern dass sie das Gefühl gewonnen haben, die Politik hat die Kontrolle verloren."

Bange um den Einzug in den Landtag ist dem Spitzenkandidaten trotz des Umfragehochs der CSU nicht. Der heißen Phase des Wahlkampfs, die erst im Spätsommer kommen wird, sieht er optimistisch entgegen. In jedem bayerischen Regierungsbezirk wird Martin Hagen zusammen mit dem Bundesvorsitzenden Christian Lindner eine Veranstaltung absolvieren. Eine "hohe sechsstellige Summe" stünde der bayerischen FDP für den diesjährigen Wahlkampf zur Verfügung - genauso wie im verlorenen Wahlkampf 2013.

"Liberale Handschrift"

Eine Koalition schließt er freilich, anders als Ministerpräsident Markus Söder, der mit niemandem koalieren will, nicht aus. Doch Hagen nennt eine Bedingung, die derzeit schwer vorstellbar ist: "Die neue Regierung muss eine deutlich liberale Handschrift tragen." Sonst sei eine Koalition mit der FDP nicht zu machen. Die FDP in Bayern werde nicht um jeden Preis eine Koalition eingehen: "Wir wollen keine Dienstwagen abstauben."

Dass Söder auf eine absolute Mehrheit setzt, die bei einer Prozentzahl unter 50 und dem gleichzeitigen Einzug von fünf weiteren Parteien gut möglich ist, lässt Hagen kalt: "Die Wähler werden Söder rasch auf den Boden der Tatsachen zurückholen." An eine absolute Mehrheit der CSU am 14. Oktober glaubt der Spitzenkandidat nicht.

"Glaubwürdigkeit" ist im Gespräch mit Martin Hagen ein häufig benutztes Wort. Eine überzeugende Glaubwürdigkeit habe er bei seiner Mentorin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justizministerin (1992 bis 1996, 2009 bis 2013), gesehen. Ein "Vorbild" sei sie für ihn, seitdem sie wegen des großen Lauschangriffs 1995 zurückgetreten war. Leutheusser-Schnarrenberger hatte ihn zum Landesgeschäftsführer gemacht.

Einen Seitenhieb auf die CSU in Gestalt von Seehofer und Söder und deren rasch wechselnden Kurse will sich der Liberale an dieser Stelle nicht verkneifen: "Einem Franz Josef Strauß war es auch wurscht, ob es mal Gegenwind gab."

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