Annafest: "Ich vermisse Dich"

3.8.2020, 07:00 Uhr
Annafest:

© Foto: Patrick Schroll

"My love is your love." (Whitney Houston)

Läuft dieses Lied im Radio, sehe ich mich als kleinen Jungen in der Sommersonne am unteren Festplatz stehen, wie ich mit großen Augen die blinkende Lichter der Fahrgeschäfte verfolge, die mit ihrer Wucht aus unzähligen Tonnen in der Luft umherwirbeln. "Wollt ihr noch eine extra Runde, Runde, Runde...", schallt das Echo durch den Wald.

Bumm bumm, Bumm bumm. Das Herz hüpft freudig als wäre ich verliebt. Die Vorfreude steigt, sich in das Gedränge zu stürzen, Leute zu treffen, die man nur einmal im Jahr trifft. Zum Annafest. Doch heuer schlägt der Puls normal. Ein bedrückendes Gefühl, sich dem Kellerwald zu nähern. Ruhig ist es. Kein Gedränge, keine Musik, kein Echo, kein Wirrwarr. Aber sie sind trotzdem da: Forchheimerinnen und Forchheimer, die sich deshalb nicht die Stimmung verderben lassen und dem Annafest im Corona-Jahr 2020 ihren Tribut zollen.

Dort, wo sonst die Gondeln von Orion II in die Höhe ragen und den Kellerwald abends in ein buntes Licht tauchen, ist nichts. Einfach nur blauer Himmel. Vereinzelt bewegen sich kleine Wolken am Horizont. Unten herrscht Stillstand. Niemand springt auf den Trampolinen, am Süßigkeiten-Stand ist wenig los. "Alla Dooch Annafest", schreit ein Plakat am Schindler-Keller niemanden entgegen. Vom Greif-Keller sind ein paar Stimmen zu hören. Vorbei am stummen Musikpodium geht es zum Brauwastl-Keller. "Miss you": "Ich vermisse Dich", baumelt ein kleines Herz aus Lebkuchen im Sommerwind.

"Ich bin total relaxed. Normalerweise stünden wir jetzt im Voll-Stress in der Lützelberger-Kurve. Zu unserem kleinen Stand am Brauwastl-Keller kommen schon ein paar Leute. Aber man kann das trotzdem alles gar nicht glauben: es gibt keine Musik, keine Leute, die unterwegs sind..." (Reinhold Lützelberger, Schausteller)

Langsam füllen sich die Tische zum Feierabend an einem Ka-Annafest-Tag. Niemand steht am Ausschank oder bei der Krugrückgabe. Ohne Virus würden sich hier jetzt die beiden Schlangen vermischen und für den ungeübten Annafest-Gänger in der Menge auflösen. Getrunken, getanzt, geschwitzt und gesungen wird zu Annafest-Zeiten normalerweise gemeinsam. Oder gewartet: vor den Toilettenhäuschen.

"Viele Kellerbesucher waren teilweise seit Jahren nicht mehr auf dem Annafest, weil ihnen der Trubel zu groß geworden ist. Sie finden es jetzt ruhiger und gemütlicher. Am Wochenende war viel los, da mussten wir Leute teilweise wegschicken, weil wir nicht alle Plätze bewirten dürfen."

Für spontane Gäste hält die Brauwastl-Crew eine "Not-Brotzeit" bereit. Sonst darf jeder mit Brot, Wurst und Käse kommen. Das kühle Bier im grauen Steinkrug auf den grünen Holzbänken kommt dazu. Ein typisches Annafest-Bild.

"Sonst sind hier die Straßen immer voll." (Kellerwaldbesucher)

Ich lausche. Und schlucke. Ja, sonst ist hier alles anders. Das auszusprechen, macht das Unglaubliche zu dem, was es ist: wahr. Ein Gänsehautmoment. Vorm Stäffala-Keller, vorbei an der vewaisten Lützelberger-Kurve, gibt es das passende Bild zu diesem Gefühl: ein Mundschutz liegt am Boden vor der verschlossenen Kellertür. Das Symbol schlechthin für Annafest 2020. Eine außergewöhnliches Jahr in der 180 Jahre langen Festgeschichte.

"Der Kellerwald hat auf jeden Fall Flair für ein Volksfest. Wir kennen das Annafest nur vom Hören-Sagen und sind dieses Jahr zum ersten Mal im Kellerwald." (Kellerwald-Besucher aus Baden-Württemberg)

Viele der oberen Keller sind verwaist. Der Glückshafen hat sich in einen Hafen für Fahrräder verwandelt. Vor genau 60 Jahren, 1960, hat das Rote-Kreuz die Bude zum ersten Mal betrieben. Ein Treffpunkt für Glückssuchende und so manch romantische Stunden. 2020 sind es rote Stoppschilder: "Zutritt nur mit Mundschutz". Und 2021? Wer weiß...

Auf dem Weg nach Hause nehme ich die bekannten Schleichwege im Wald. Aus Tradition. Ein Stück Annafest-Geschichte.

Ich freue mich auf die Fortsetzung.

 

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